Gunter von Hagens hat sich als Plastinator einen Namen gemacht. Seine Plastinate von Tieren und Menschen sind handwerklich perfekte konservierte Präparate.
Seine Plastinate von Menschen, die er in reißerischen Inszenierungen arrangiert, sind äußerst umstritten. Von Hagens sieht sich als Erklärer des menschlichen Körpers, als Wissenschaftler, Künstler und Lehrer gleichermaßen.
Die menschlichen Plastinate und der Umgang mit dem toten menschlichen Körper machen sehr nachdenklich. Er bewegt sich im legalen Rahmen.
Aber ist sein Handeln auch ethisch vertretbar?
Jetzt tourt er wieder durch Deutschland. Die Ausstellung „KÖRPERWELTEN & Der Zyklus des Lebens“ verspricht im Ankündigungstext:
„Die einzelnen Stationen der Entwicklung des menschlichen Körpers sowie seine Veränderung im Lauf der Zeit – beginnend bei der Zeugung bis ins hohe Alter – laden jeden ein, sich intensiv mit seinem eigenen Leben zu beschäftigen. Die Fürsorge für unseren Körper ist die beste Investition in unsere physische und emotionale Zukunft.“
Ob eine derartige Ausstellung mit reißerisch inszenierten Leichen und Leichenteilen, garniert mit mäßigen Texten, eine gute Investition in die emotionale Zukunft der Besucher ist, ist fragwürdig.
Nein, die Inszenierungen aus dem Hause von Hagens sind weder Lehre, noch Wissenschaft, noch Kunst.
Warum es keine Kunst ist, erklärt unser kunstsinniger Anatomiedozent Herr Dr. Wicht nachdrücklich in: „Ethik: Zur Ästhetik des Herrn von Hagens – ein Statement von PD Dr. Wicht“.
Sie ist keine Lehre oder Wissenschaft, weil sie nicht dem Erkenntnisgewinn dient, sondern dem Kommerz.
Legal, aber ethisch absolut bedenklich, sagen der Philosoph Herr Dr. Sauer und der katholische Geistliche und Krankenhausseelsorger Herr Frisch vom klinischen Ethik-Komitee dazu im „puls.“-Interview:
„Ethik: „Anatomy for beginners“ – Interview mit Ethik-Komittee“.
Sie ziehen im Gespräch eine klare Grenze zwischen einem medizinischen Präparationskurs und einem „Lehrvideo“ von Hagens, die Aussagen treffen genauso auf seine „Körperwelten“-Ausstellungen zu.
Die entscheidenden Punkte sind der Voyeurismus und der Akt der Selbstdarstellung:
„Anatomy for beginners“ ist dramaturgisch aufbereitet, ein inszeniertes Gruselkabinett. Eine attraktive Inszenierung ist aber kein angemessener Umgang mit dem Leichnam. Dies verträgt sich nicht mit dem Ideal der Lehrveranstaltung.
Im Anatomie-Unterricht tritt der Lehrende in den Hintergrund, er ist die unterweisende Person. Die Ziele des Lehrenden und des Unterrichts sind nicht eitel. Zwischen einer Lehrveranstaltung im Sinne der Aufklärung und einer primär dramaturgischen Inszenierung besteht ein Widerspruch, den wir nicht auflösen können.“ meint Herr Frisch.
Dazu kommt: „Herr von Hagens instrumentalisiert die Leiche für seine Selbstdarstellung. Ehrfurcht, Respekt und Würde sind wichtige Elemente unseres humanistischen Weltbildes. Das schließt die Instrumentalisierung einer Leiche zur Selbstdarstellung eines Referenten aus. Im Falle des Herrn von Hagens rückt seine Eitelkeit in den Vordergrund. Er verkauft seine Selbstdarstellung unter dem Deckmäntelchen von Lehre und Forschung.“
Herr Dr. Sauer sagt dazu: „Es entsteht bei „Anatomy for beginners“ aber eher der Eindruck des Spektakels und der Selbstdarstellung. Es geht um Sektionen vor Publikum, in einer Weise, die an Unterhaltungsshows erinnert, mit dramaturgischen Elementen und für eine möglichst große Anzahl von nicht definierten Personen im Sinne von Fernsehkonsumenten – also ein Spektakel (Spektakel (lat. spectaculum = Schauspiel, Anblick, auch Krach, Lärm) ein Ereignis, das Aufsehen erregt – Die Red.). Die eigentliche Problematik sehe ich in dieser Doppeldeutigkeit. Und genau darin liegt der Grund, warum ich glaube, dass von Hagens damit gegen den kulturellen Konsens des guten Umgangs mit Verstorbenen verstößt.“
Weitere „puls.“-Beiträge zu von Hagens anatomischen Inszenierungen finden Sie hier.
Schaulust siegt über Erkenntnisgewinn.
Um etwas über Anatomie zu erfahren, ist eine Ausstellung mit einem gewissen inhaltlichen Anspruch in einem Museum oder die nur für Medizinstudierende zugänglichen Präparationskurse oder Kurse wie die Tübunger Sectio chirurgica allemal geeigneter. Und für einen Umgang mit toten Menschen auf jeden Fall angemessener.
Bettina Wurche