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Ethik: Zur Ästhetik des Herrn von Hagens – ein Statement von PD Dr. Wicht

Ich hab’ kein ethisches Problem mit Dr. von Hagens, ich hab’ ein ästhetisches. Wo er seine Leichen herbekommt – das ist mir Wurst, solange die nicht vom Leben zum Tode gebracht wurden, damit er sie verwursten kann.

Über die Methodik der Plastination müssen wir nicht reden. Die hat er zwar nicht erfunden (Wachsplastinate macht man schon seit 250 Jahren, aber perfektioniert, und es ist ein Segen für die Anatomie, für die Lehre vor allem.

Über die Ästhetik seiner Grossplastinate, über seinen Wanderzirkus wäre zu reden. Zum Beispiel über die Farben, jene roten Muskeln, diese gelben Nerven – angestrichen. Die Plastinate sind bunt lackiert, die Farbe ist unecht. Der Kadaver, nach der Fixierung und Plastination, ist grau in braun. “Der Reiz des Echten” – damit macht er Reklame, der Herr Dr. von Hagens. Aber was ist denn da echt? Das Fett ist weg, das Wasser ist weg (überall da, wo es war, ist nun Kunststoff), und da der Mensch im Leben und als Leiche überwiegend zu etwa 65 % aus Wasser und viel Fett  besteht, kann man sich schon fragen, was da noch “echt” ist. Die Farben sind’s nicht, das Material ist’s nicht – also die Form. Da könnt’ ich mir aber eigentlich auch ein Modell ansehen.

Die Form. In der ersten Ausstellung, die Dr. von Hagens je machte, in Mannheim (ich war da, in späteren ebenso), da gab er sich noch Mühe, mit seinen Plastinaten anatomische Sachverhalte darzustellen. Dann drehte er leider in Richtung auf die plastinatorische Leistungsschau ab. Mittlerweile werden auch Elefanten plastiniert – ich warte noch auf den begehbaren Blauwal. Leistungsschau mit kunstgeschichtlichem Anspruch freilich: Die Menschenplastinate wurden zu Dali’schen Schubladenfiguren, zu futuristischen Formsprengsätzen, kein Stück Kunstgeschichte und kein Alltagstrivium war mehr davor sicher, als makabre Plastinatparodie nachgestellt zu werden. Ich warte auf Christus am Kreuz, für die Ewigkeit plastiniert und angenagelt und garantiert auferstehungssicher.

Der Höhepunkt unter all diesen explodierten Langstreckenläufern, vom Fahrtwind zerfledderten Fahrradfahrern, vom Schachspiel hirnentblössten Bretthockern etc. ist sicherlich das kopulierende Paar. Nackend, wie sich das gehört, aber eben nackend bis unter die Generalfaszie, bis auf die Muskeln. Mir ist ja schon klar, dass man sich zum Geschlechtsverkehr wenigstens fokal nackt machen muss, aber so nackt? Und dann – warum setzt er den beiden, die er rasiert und gehäutet hat, dann wieder Perücken auf die kahle Galea aponeurotica? Bumsen denn noch die Leichen? Das ist widerlich – künstlerisch, mein’ ich – es zeugt von einem Mass an intellektuellem Nullnummerntum, das dem von Jeff Koons in nichts nachsteht. Nur glaub’ ich, dass der seine Null-Botschaften noch überlegter erzeugt.

Widerlich. Gehen Sie mal durch die von Hagens’schen Ausstellungen und gucken Sie den Plastinaten in die Augen. Es sind Glasaugen. Unecht. Die echten Augen der Toten sind opak, gebrochen, die Äpfel geschrumpft, weit in die Orbitae zurückgesunken. Den Anblick der Augen des Todes, den will Dr. von Hagens offenbar weder sich noch seinem Publikum zumuten. Damit verletzt er sicher nicht die Würde der Toten. Aber die des Todes schon.

Wicht´sche Polemik zum Weiterlesen: „Anatomisches Allerlei: Bullenklöten“

Helmut Wicht

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