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Leserbrief: „Studentenfreundlichkeit mal anders“

Der nachfolgende Leserbrief ging am 16.05.2011 in der “PULS.”-Redaktion ein wird anonym veröffentlicht.

bw

„Studentenfreundlichkeit mal anders

Alles fing damit an, dass in unserem Semester (WS 2010/2011) eine zusätzliche Klausur eingeführt wurde, die „der Physiologie einen höheren Stellenwert in der Ausbildung zum Mediziner“ verleihen sollte, so die Sicht der Physiologen.

Unglücklicherweise wurde diese Zusatzbelastung zeitlich genau so angesetzt, dass die 2. Teilklausur um nur einen Tag versetzt mit der Anatomie-3-Klausur lag.

Auch das hatten wir zu „schlucken“, wurde uns doch von Anatomen und Physiologen gleichermaßen erzählt, dass sich die Themenbereiche so sehr ähnelten, dass sogar angestrebt würde, es bald zu einer einzigen Klausur zusammen fassen zu wollen. Also dachten wir uns, dass wir sicher darauf vertrauen könnten, dass die Profs „unserer Uni“ sicher doch auch nur Gutes für uns wollten.

Wie naiv man sein kann! Es kam dann nämlich leider ganz anders…

Erwähnenswert sei, dass das Biochemie-Rigo1 ebenfalls genau in diesen Zeitraum fiel. Da die Biochemiker ebenfalls der Meinung sind, dass es sich z.B. bei den einzelnen Schritten der Glykolyse um ein für einen Arzt allgemein wichtiges Wissen handelt, ist diese Klausur auch besonders schwer angesetzt und es müssen deshalb in jedem Jahr viele von den Studenten zur Wiederholung antreten.

 

So hatten viele von uns nun eine „Dreier-Belastung“ zu bewältigen und die Vorgehensweisen unterschieden sich erheblich. Während einige verzweifelten und versuchten, „alles ein bisschen“ zu lernen und irgendwie wenigstens knapp durch alle Klausuren durchzukommen,  lernten andere intensiv für nur ein oder zwei Fächer und nahmen sich von Anfang an vor, beim vernachlässigten Fach im Vorhinein die Wiederholungsklausur einzuplanen.

Nach einigen Wochen der Unsicherheit und der „Quer-Lernerei“ kam schließlich die entscheidende Zeit der Klausuren: Zuerst war die Physiologie am 14.02.2011 (selbst die Physiologen bemerkten sarkastisch, dass das ja der Valentinstag sei) dran, einen Tag später folgte die Prüfung in Anatomie. Die Studenten motivierten sich gegenseitig, auch zu den Klausuren zu erscheinen, für die sie nicht gelernt hatten, um so wenigstens den Schnitt für ihre Kommilitonen zu senken, so dass letztlich alle eine wenigstens geringfügig bessere Bestehenschance haben sollten.

Zumindest in der Physiologie ging dieses Wunschdenken auf, der Schnitt wurde um ganze 5% gesenkt, zudem wurde eine Frage aus der Wertung gestrichen (bzw. allen Studenten als richtig gewertet), deren Lösung auf Grund der Vorlesungsfolie offensichtlich anzuzweifeln war.

Es bleibt noch zu sagen, dass die Gleitklausel erst dann Anwendung fand, als wir Studenten uns beschwert und sie energisch eingefordert hatten, so dass viele meiner Kommilitonen erst Tage später wussten, ob sie nun Physio eventuell bestanden hätten.

Mit diesem verunsicherten Grundgefühl mussten wir also am Tag nach der Physio-Seminarklausur (Teil 2) am 15.02.2011 in die Anatomie-3-Klausur starten.

Da jedes Unterfach der Medizin seine ganz eigene Eitelkeit hat und als das jeweils wichtigste und anspruchsvollste Fach gelten möchte, war die Anatomie-Klausur nicht etwa studentenfreundlich und nachsichtig konzipiert, sondern (gerade im Vergleich zu den Altklausuren) besonders schwer. Viele von uns, (auch von denen, die sich gewissenhaft auf die Klausur vorbereitet hatten!) fielen durch und so kam es zu der hohen Durchfallquote von 167 Studenten. Dies stellt allerdings erst das Ergebnis nach heftigen Protesten und Diskussionen mit den verantwortlichen Professoren dar, davor waren undurchsichtigerweise noch viel mehr Prüflinge durchgefallen.

Dies sehen wir Studenten auch als großes Manko der Anatomie: Niemand kann in Anatomie einsehen, wie die erreichte Durchschnittspunktzahl lautet und ebenso undurchsichtig ist es dann gewesen, als auf unser Drängen einige zweifelhafte Fragen ohne Begründung aus der Wertung genommen wurden. Niemand der Entscheidungsträger verkündete, ob diese nun allen als richtig gewertet oder wie damit verfahren würde.

Stattdessen erschienen immer wieder neue, aktualisierte Listen im WebCT, wer durchgefallen sei.

Letztlich mussten also diejenigen, die eine knappe Punktzahl unter der Bestehensgrenze gekreuzt hatten, ständig aktualisierend vor ihrem PC sitzen und auf ein klein wenig Glück und viel viel Gerechtigkeit hoffen…

 

Doch noch war der Spuk lange nicht vorbei, sollte doch knapp 2 Wochen später das Biochemie-Rigo folgen! Dass dieses schwer sein würde, war allgemein bekannt und so knieten sich viele von uns erneut in die Arbeit, auch wenn kaum noch Kraft und Motivation übriggeblieben war nach den geschilderten breiten Rückschlägen in Physiologie und Anatomie.

Als Ergebnis fielen auch in Biochemie wieder viele von uns Studenten durch (nicht unbeteiligt war hier die Lüftung, die etwa eine halbe Stunde lang überlaut während der ersten 25 Minuten der Klausur die Konzentration erheblich beeinträchtigte) und hatten nun in den Semesterferien Zeit, um im schlimmsten Fall Physiologie, Anatomie und Biochemie zu lernen. Parallel zu ihrem Pflegepraktikum, das sie teilweise ebenfalls noch fertig zu absolvieren hatten.

Ironischerweise bemerkte Prof. Brandt auf Beschwerden der Studenten hin, dass die Biochemie-Wiederholungsklausur erstaunlich gut ausgefallen sei, was sich unserer Meinung bei einer Bestehensquote von 32,8% ja wohl nicht ernsthaft behaupten lässt.

Ein kritischer Beobachter mag anmerken, dass es immer Ausnahmen gibt und es eben manche auch mal besonders hart trifft. Das ist natürlich wahr, jedoch nie in diesem Umfang und so sollten wir dann auch im Anatomie-Rigorosum Universitätsgeschichte schreiben…

 

Als wir die erste Seite des Anatomie-3-Rigorosums am 07.04.2011 aufschlugen, war sofort klar: Hier hatten sich die Anatomen gründlich ausgetobt.

Ich persönlich hatte mich mit vier Büchern gründlich vorbereitet: dem neuen, ausführlicheren Sobotta, den Anatomie-MediLearn-Heften, dem dicken „Trepel“ („Neuroanatomie“) und dem Kurzlehrbuch Neuroanatomie von Ulfig als Abschluss. Dennoch saß ich in der Klausur und wusste bereits nach wenigen Fragen sofort, dass ich durchfallen würde. Man kann sich die Hilflosigkeit in diesem Moment kaum vorstellen, wenn einem klar wird, dass all die Lernerei während der letzten Wochen umsonst war und auch keine Anstrengung jemals ausreichen würde, um eien solche Klausur gewissenhaft vorzubereiten.

Außer, so wurde uns im Nachhinein klar, wenn wir den „Benninghoff“ (unverhältnismäßig dickes Lehrbuch!) auswendig gelernt hätten… Denn daraus waren viele der Fragen in ihrem Detailreichtum exakt übernommen worden.

Doch wer von uns sollte vor dieser Klausur ahnen, dass jene Anatomen, die die Klausur erstellten, derart „Rache“ daran nehmen würden, dass wir uns parallel noch (notgedrungen) der Physiologie widmeten? Der „Kampf“ zwischen den Physiologen und den Anatomen wurde also auf unserem Rücken ausgetragen und es war schlichtweg unrealistisch, dieses Rigorosum zu bestehen.

Als Konsequenz der detaillierten Fragen fielen dann auch saftige 89% von uns durch, ein Ergebnis, dass vermutlich alle schockierte: Von uns, über die Fachschaft bis hin zu den Anatomen selbst schüttelten alle fassungslos den Kopf.

Das hinderte sie allerdings nicht daran, eine Liste im WebCT online zu stellen, in denen alle 149 Studenten, die durchgefallen waren, mit Matrikelnummer erschienen. Den darauffolgenden Tag und auch das Wochenende wurde nichts Neues bekanntgegeben und wir begannen wirklich an unserer Frankfurter Uni zu zweifeln und uns zu fragen, warum so offensichtlich das Ziel verfolgt wurde, uns „eins reinzuwürgen“…

Am darauffolgenden Montag war offizielle „Klausureinsicht“ und so sammelten wir uns im und um das Anatomiegebäude, bereit zur Demonstration gegen die so unhaltbaren Umstände. Doch noch bevor wir dazu kamen, erschien Dekan Professor Nürnberger, der in das Erstellen der Klausur nicht involviert war, und selbst sehr getroffen von dem schlechten Ergebnis zu sein schien.

Er verkündete uns dann, dass eine Gleitklausel auf eine Wiederholungsprüfung, die das Rigorosum ja ist, nicht anwendbar sei. Da das Ergebnis so jedoch nicht haltbar sei, werde es auf jeden Fall eine Wiederholung der Klausur geben.

Und damit dieses Mal nicht das Gleiche geschehe, also wieder eine Klausur erstellt würde, die nicht zu bestehen sei, würden sämtliche Anatomen des Instituts die Klausur gegenlesen und gemeinsam kontrollieren, ehe wir sie „vorgesetzt“ bekommen, so dass als Ziel mindestens 50% von uns bestehen sollten, so Professor Nürnberger.

Ein Ereignis! Natürlich waren die für die Klausur verantwortlichen Anatomen nicht begeistert davon, trotzdem wurde eine Wiederholung des Rigorosums für eine Woche später angesetzt und für uns hieß es erneut: Lernen lernen lernen. Dieses Mal wurde uns jedoch versichert, dass die Klausur so wie bisher zu einem Großteil aus Altfragen bestehen würde (dies ist eigentlich von Anfang an Vorschrift gewesen, hatte die verantwortlichen Anatomen jedoch offensichtlich nicht beeindruckt) und deshalb hofften wir auf eine faire Klausur.

 

Am 18.04.2011 saßen wir dann also wieder vor einem Blätterstapel und hofften, dass die Klausur dieses Mal besser verlaufen würde. Bereits nach einigen Fragen war vielen von uns dieses Mal jedoch klar, dass es eine reelle Bestehenschance gab und so fiel dann auch die Wiederholung des Rigorosums erwartungsgemäß endlich besser aus.

Interessant ist hier noch anzumerken, dass trotz der Wiederholung nur 49,8% des Semesters, also nur sehr knapp 50%, die Anatomieklausur oder das Rigorosum bestand, dennoch wurde keine Frage aus der Wertung genommen oder sonst etwas unternommen, obwohl die Bestehensquote doch eigentlich „mindestens 50%“ betragen sollte…

 

Interessant wird nun werden, wie die Anatomen 83 Leute in der mündlichen Prüfung (Rigo2) unterbringen wollen. Haarsträubend ist hier, dass diese Prüfung für den 5.7. angesetzt ist und am 1.7. unsere Klausur über die vier „großen“ Physikumsfächer Anatomie (gesamt!), Physiologie, Biochemie und Psychologie/Soziologie geschrieben werden muss.

Ein zeitgleiches Lernen ist mit der Genauigkeit, die für eine mündliche Prüfung eben notwendig wäre, also wieder nicht zu leisten.

Ein anderer, ebenso erschreckender Fall ist der weitere Verlauf der Physiologie gewesen, wo es zwar jetzt Ende April offiziell eine 2. Nachholmöglichkeit gegeben hat, diese jedoch eine Bestehensquote von nur 2% hatte und in mündlicher Form erfolgt war.

Diese Prüfung, die durch Prof. Roeper erfolgte, verlief ebenfalls eindeutig nach dem Prinzip des „Aussiebens“, so dass 48 Studenten nun das gesamte Physiologie-Seminar wiederholen müssen, obwohl in den Kursen kaum Platz für sie ist und es nun massive Einteilungsschwierigkeiten gibt, so Frau Gerlach, Sekretärin der Physiologie.

Obwohl auch in einer mündlichen Prüfung laut Frau Dr. Heid nur 60% zu erreichen seien, hat Prof. Roeper Studenten durchfallen lassen, obwohl sie den weitaus größten Teil seiner Fragen beantwortet und sich auch gewissenhaft vorbereitet hatten. Und das, obwohl die Vorbereitungszeit vorher sehr kurzfristig um zwei Wochen gekürzt worden war!

Die dann folgende Floskel „Tut mir leid, ganz knapp nicht bestanden“ wurde in dem Prüfungsdurchgang zum Standard und bekam einen besonders ironischen Aspekt, da Prof. Roeper die Prüflinge zu Beginn der sehr kurzen mündlichen Prüfung meist noch für ihre Leistungen lobte und widersprüchlicherweise am Ende insgesamt unzufrieden mit deren Leistung gewesen war. Als zusätzlicher „Schlag ins Gesicht“ wurde als „Abschied“ gleich vor Ort ein Zettel ausgehändigt, mit dem sich die Prüflinge für die Wiederholung des Seminars anmelden müssen.

 

Hier ist ganz offensichtlich, dass wir als „Negativ-Auswahl“ (Zitat der Anatomen) anzusehen sind, sollten wir mal durch eine Prüfung gefallen sein. Warum sollten sie sich also für die Negativ-Auswahl die Mühe machen, eine reelle Bestehenschance zu bieten?! Schließlich wird jetzt auf diese Weise rigoros (oh, welch Wortspiel!) ausgesiebt, wer in ihren Augen nicht „engagiert“ genug für Klausuren lernte, was letztlich natürlich den Physikumsschnitt für Frankfurt anheben wird – eine rein politische Haltung also!

Dies lässt nun die Vermutung zu, dass es alleine genau darum geht. Nicht etwa darum, uns zu gut ausgebildeten und motivierten Medizinern zu schulen, sondern, einfach einen möglichst guten Durchschnitt im Physikum zu erreichen, damit die Frankfurter Johann Wolfgang Goethe-Universität im Vergleich zu anderen Universitäten als besonders anspruchsvoll hervorstechen möge.

Oder geht es womöglich doch mehr um die Eitelkeit einzelner Professoren? Professoren, denen es weniger am Herzen gelegen ist, ihre Studenten für ihr Fach zu motivieren und zu begeistern, sondern darum, als streng zu gelten, ernster als ihre Kollegen genommen zu werden und „auszusieben“.

 

Hierfür dient wohl auch die „Schreckensklausur“ am Ende des vierten Semesters, die wie oben geschrieben über die Fächer Anatomie, Physiologie, Biochemie und Psychologie/Soziologie gehen wird und drei Stunden am Stück dauert. Sie wird nicht ohne Grund auch „Präphysikum“ genannt…

Offiziell soll sie dazu dienen, die Studenten beizeiten dazu zu motivieren, gewissenhaft für das Physikum zu lernen, aber handelt es sich beim Studieren nicht um eine freiwillige Sache? Warum also solch ein verschultes Verfahren? Nur, um den Studenten zu helfen? Die Sichtweise darauf bleibt jedem freigestellt…”

 

 

6 Kommentare

  1. und im darauffolgenden Wintersemester (2011/2012) wurden die Physio-Seminar-Klausur und die Ana 3-Klausur an EINEM Tag geschrieben. Im Inhalt hatten diese Klausuren nur einige wenige Überschneidungspunkte und so entschieden sich selbst viele ansonsten exzellente Studenten dafür, nur eine der beiden Klausuren mitzuschreiben und ihre gesamten Frühlingssemesterferien für das Lernen auf die Nachholklausur zu verschwenden – und danach geht es jetzt direkt mit der Physikumsvorbereitung los!

  2. wunderbar, dass sich endlich mal jemand die zeit nimmt und schreibt was tatsache ist. Da fühlt man sich nicht mehr so alleine! DANKE

  3. im großen und ganzen bin ich ganz der meinung des autors. nur eine sache muss ich unbedingt erwähnen. die wiederholung des ana 3 rigo 1 war sowas von fair und einfach (habe sie selbst mitgeschrieben), dass die tatsache, dass nicht min 50% bestanden haben, ja wohl außer acht gelassen werden kann, denn wer da durchgefallen ist, der hat es sich 100%ig selbst zuzuschreiben!

  4. Willkommen in der Realität
    Survival of the “fittest”.

    Um ganz kurz auf den Ausgangspunkt zurückzukommen wieso allgemein soviel abgesiebt wird:
    “Der Unibetrieb ist wie eine große Party, bei der niemand weiß, wie viele Gäste kommen und wie viel Weißwein, Bier und Cola sie trinken werden. Nur eines zeichnet sich ab: Es ist nicht genug für alle da.” (http://brodnig.org/tag/uni/)
    Weil nicht mehr Getränke bestellt werden können, müssen nunmal Gäste ausgeladen werden.
    Mit der zunehmenden Anzahl von Studienanfängern wird ach der Leistungsdruck erhöht!

    Was mich an dem ganzen richtig wütend macht ist die vorherrschende Chancenungleichheit bei mündlichen Prüfungen. Warum greifen manche Profs so hart durch und lassen im Extremfall jeden durchrasseln und manche machen genau das Gegenteil?