Herr Priv.-Doz. Dr. med. Farzin Adili ist als Facharzt für Chirurgie und Gefäßchirurgie der Direktor der Klinik für Gefäß- und Endovascularchirurgie des Klinikums Darmstadt. Gleichzeitig ist er Lehrbeauftragter des Klinikums, das ein Akademisches Lehrkrankenhaus der Goethe-Universität Frankfurt und Universität Mannheim-Heidelberg ist. Daneben engagiert sich er sich auch überregional für die Lehre u.a. als Vertreter des Arbeitspakets 15 des Nationalen Kompetenzbasierten Lernzielkataloges Medizin (NKLM), in der Chirurgischen Arbeitsgemeinschaft Lehre der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie und der Weiterbildungskommission der Deutschen Gesellschaft für Gefäßchirurgie und Gefäßmedizin.
puls.: “Was halten Sie für die Aufgaben eines Akademischen Lehrkrankenhauses?”
F. A.: „Ein Akademisches Lehrkrankenhaus hat in der Lehre grundsätzlich die gleichen Aufgaben wie ein Universitätsklinikum.
De facto bieten die Lehrkrankenhäuser zwar weniger theoretische Lehrveranstaltungen für Medizinstudierende an. Sie bieten jedoch Plätze für das Krankenpflegepraktikum der Studierenden, für Famulanten und natürlich für das PJ. Außerdem finden im Klinikum Darmstadt einige Blockpraktika statt, z.B. in der Chirurgie, Gynäkologie, Dermatologie und Inneren Medizin.
Einige Institutsdirektoren sind außerdem Mitglieder des FB Medizin, etwa Herr Prof. Dr. med. Welte (Anästhesiologie), Priv. Doz. Dr. med. Podda (Dermatologie) und Herr Prof. Dr. med. Mall (Pathologie). Ich selbst beteilige mich im FINeST am Training der Praktischen Fertigkeiten und nehme auch OSCE-Prüfungen ab.
Dann haben Herr Dr. Schwarzacher aus dem Institut für Anatomie und ich noch einmal jährlich diese besondere Vorlesung im vorklinischen Studienabschnitt: Vorlesung Anatomie 4 (Seminar Anatomie). Dabei geht es um die Zusammenführung anatomischen Wissens und der chirurgischen Praxis z.B. auch am Beispiel einer OP. Wir erklären gemeinsam und diskutieren fachliche Details, das kam bei den Studierenden bisher super an.
Auf jeden Fall werden wir uns weiterhin um die Verbesserung der Ausbildung unserer PJ-ler kümmern.
Wir hatten für unsere Studierenden beispielsweise schon eigene Logbücher entwickelt, bevor sie jetzt von der neuen ÄApprO für alle Fächer des PJ gefordert wurden.
Die offiziellen PJ-Logbücher werden nun vom Dekanat vorgegeben. Dementsprechend haben wir unsere eigenen zurückgezogen. Die offiziellen PJ-Logbücher wurden jetzt übernommen und werden derzeit für die einzelnen Fachdisziplinen auf die „Darmstädter Verhältnisse“ adaptiert.
Die Einführung eines PJ-Logbuchs bedeutet für die PJ-BetreuerInnen natürlich einen vermehrten Aufwand. Aber für eine Qualitätssicherung im PJ halte ich sie für wichtig.“
puls.: “Was bedeutet der zusätzliche Lehrbetrieb für die ÄrztInnen?”
F. A.: „Die Situation in einem Lehrkrankenhaus ist etwas anderes als in einer Uni-Klinik.
Lehrkrankenhäuser sind nicht selten auch Maximalversorgungs-Krankenhäuser, hier arbeiten jedoch vor allem Ärzte, für die in der überwiegenden Zahl ausschließlich die medizinische Betreuung von Patienten im Mittelpunkt steht. Ärzte, die sich für eine Tätigkeit an einem Universitätsklinikum entscheiden, sind häufiger stärker akademisch interessiert. Das heißt, sie wollen sich auch aktiv in Forschung und Lehre engagieren.
Die Lehre muss kein Sand im Getriebe des klinischen Alltags darstellen.
In der Chirurgischen Arbeitsgemeinschaft Lehre (CAL), deren Arbeitsgruppe „Lehre im klinischen Alltag“ ich vorstehe, entwickeln wir gerade moderne medizindidaktische Konzepte zur Vermittlung praktisch- klinischer Kompetenz. Unsere Zielgruppe sind dabei v.a. Ärzte ohne besonderes medizindidaktisches Hintergrundwissen. Da die Beherrschung praktischer klinischer Kompetenzen vom ersten Tag der Assistenzarzt-Tätigkeit an von grundlegender Bedeutung ist, muss sie von den Lehrenden mit Geschick, Können und hohem Engagement vermittelt werden. Dieses didaktische Zusatzwissen wollen wir in der CAL allen Interessierten zugänglich machen.
Gleichzeitig steht die Lehre praktischer klinischer Kompetenzen im Klinikalltag oft in Konkurrenz mit dem kurativen Handeln und der Forschung.
Wir arbeiten zurzeit im Rahmen eines BMBF-Projekts (Bundesministerium für Bildung und Forschung) unter der Leitung von Prof. Dr. Felix Walcher (Klinik für Unfallchirurgie der Goethe-Universität) an der Optimierung der Vermittlung praktischer klinischer Kompetenz im Studium der Humanmedizin. Unser Ziel ist eine fundiertere klinische Ausbildung für die Studierenden.“
puls.: “Wie zufrieden sind die Studierenden an Lehrkrankenhäusern und der Uniklinik?”
F. A.: „Das ist natürlich von Haus zu Haus, Klinik zu Klinik und Arzt zu Arzt sehr unterschiedlich. Außerdem muss man differenzieren zwischen den Wahlfächern und Pflichtfächern.
Die Zufriedenheit der PJ-ler bei den Wahlfächern ist grundsätzlich hoch, egal ob an der Uniklinik oder einem akademischen Lehrkrankenhaus.
Die Pflichtfächer werden deutlich schlechter beurteilt. Das hat allein schon damit zu tun, dass beispielsweise alle Studierenden ein Pflichttertial Chirurgie belegen müssen, aber nur etwa 20 % ein echtes Interesse an der Arbeit im OP haben. Das Lehr- und Lernumfeld im OP ist sicher nicht einfach. Es geht um die Tätigkeit des Operierens, das Agieren unter Stress, die enge Zusammenarbeit mit anderen Fachdisziplinen und Berufsgruppen und natürlich auch um eine gewisse Hierarchie im OP. Wenn man dann auch noch auf unfreundliche oder lehrunwillige Vorgesetzte trifft, schlägt ein einfaches Desinteresse am Fach schon mal in totale Ablehnung, Demotivation und „innere Kündigung“ um.
Studierende suchen im PJ vor allem natürlich die praktische Betätigung.
Aber: Durch das Hammerexamen nach dem PJ ist der Fokus auf die praktische Ausbildung im PJ definitiv beeinträchtigt. Im Hinterkopf spielt immer auch die Vorbereitung auf das Examen eine Rolle.
Die Abschaffung des Hammerexamens wird sich ganz bestimmt positiv auf das Lernen im PJ auswirken. Außerdem erwarten wir, dass die Studierenden nach Absolvierung des neuen M2-Examens, vor dem PJ, bessere theoretische Kenntnisse in das PJ mitbringen und so auch praktisch besser werden.“
puls.: “Welche Möglichkeiten zum Selbstlernen stellt das Klinikum Darmstadt seinen PJ-LerInnen zur Verfügung?”
F. A.: „Wir bieten unseren PJ-lern eigene Räumlichkeiten und eine Bibliothek zum Lernen an. Dort können sie mit der entsprechenden Literatur in Selbstlernphasen ihr Wissen vertiefen, wiederholen und ergänzen.
Außerdem planen wir die Einrichtung eines eigenen Skills-Lab, so dass Studierende dort selbstständig üben könnten.“
puls.: “Wie stehen Sie zu den aktuellen PJ- Forderungen der Studierenden:
- Bezahlung (597 €)
- Studientag als Selbstlernphase?”
F. A.: „Vom Studientag, wie er zurzeit als ein ganzer Tag wöchentlich gefordert wird, halte ich wenig. Er wird sicherlich nicht immer konsequent zum Lernen genutzt, sondern oft auch anders. Der sogenannte Studientag wird überzufällig oft an Montagen oder Freitagen genommen, das erweckt den Verdacht eines verlängerten Wochenendes.
Außerdem kommt durch den wöchentlichen Studientag und die möglichen 30 Fehltage im PJ eine insgesamt beträchtliche Fehlzeit von 82 Werktagen zusammen. Das ist eine Abwesenheit von fast 1/3 der PJ-Zeit – da ist kaum noch eine wirklich kohärente Ausbildung möglich. Dazu kommt: Jemand, der so oft abwesend ist, ist selbst unter optimalen Rahmenbedingungen schwierig in ein Team zu integrieren und kann so auch kaum Verantwortung übernehmen. Ein Arzt in Weiterbildung hat nur 29 Tage Urlaub und zwischen 3 und 5 Tagen Fortbildungsurlaub im Jahr. Auch der muss während der Weiterbildung lernen und sich auf die Facharztprüfung vorbereiten. Das Ziel des PJ ist, einen Arzt zu generieren, der selbständig auf der Station arbeiten kann. Davon sind wir zurzeit weit entfernt.
Natürlich werden wir auch künftig die in der ÄApprO geforderten 8 Stunden Selbststudium im PJ gewährleisten. Aber nicht außerhalb der Klinik. Sondern z. B. mit halbtägigen Seminaren, die von verschiedenen Fachdozenten gehalten werden und einem weiteren halben Tag Selbststudium im Krankenhaus, z. B. in der Bibliothek oder später auch im Skills-Lab.
Die PJ-Vergütung halte ich für wichtig.
597,00 € reichen allerdings kaum zum Leben, ich sehe das eher als eine Art ostentative Anerkennung. Die Finanzierung der PJ-ler muss den Lebensrealitäten und dem Preisniveau in unserem Land angepasst sein.
Wir denken gerade über Möglichkeiten nach, PJ-lern zusätzlich bezahlte Dienste zu übertragen. Zurzeit dürfen sie allerdings schon aus juristischen Gründen viele ärztliche Tätigkeiten gar nicht unsupervidiert übernehmen.
Insgesamt müssen wir nach neuen Wegen suchen. Ein Vorbild dafür könnten Modelle aus den angloamerikanischen Ländern oder den Niederlanden sein:
Dort läuft es z.T. so, dass eine Gruppe (der Chef, ein Oberarzt, ein Assistenzarzt oder Mitstudierender) dem Studierenden im Praktischen Jahr per Unterschrift bescheinigt, dass dieser bestimmte Kompetenzen hat und diese auch ohne unmittelbare Aufsicht ausüben darf. Die Kompetenz muss natürlich reproduzierbar demonstriert worden sein. Z. B. könnte so von der Basis-Eingangsuntersuchung bis zur selbstständigen Führung einer Station alles justiziabel durch einen PJ-ler erfolgen. Damit nimmt der Studierende dem Team definitiv Arbeit ab. Gleichzeitig gewinnt er an Akzeptanz, Sicherheit und Kompetenz. Im Laufe des PJ kann der Studierende dann immer mehr Kompetenzen bescheinigt bekommen und darf immer mehr Tätigkeiten ausüben. Derzeit geht der Schritt vom Studierenden, der fast nichts selbst tun darf zum eigenverantwortlichen Stationsarzt innerhalb weniger Tage, nämlich vor und nach dem letzten Staatsexamen. Es ist ein gewaltiger Sprung. Durch die schrittweise Ausweisung von Kompetenzen und Übernahme von Tätigkeiten würde dieser Übergang viel glatter.
Das wäre ganz bestimmt auch eine viel größere Motivation für die PJ-ler.“
puls.: “Wird es durch die unterschiedliche Vergütung zu einem Konkurrenzkampf unter den Krankenhäusern kommen?”
F. A.: „Ich denke nicht, dass es bei der derzeit diskutierten Spanne bis 597 Euro zu einem ernstzunehmenden Konkurrenzkampf kommen wird.
Nach meiner Erfahrung suchen Studierende ihre PJ-Stellen gezielt aus, aber die Vergütung ist dabei nicht der wichtigste Aspekt.
An der Universität Mannheim-Heidelberg hat es dazu eine Studie gegeben: Danach suchen PJ-ler ihre Stellen vor allem nach ihrem persönlichen Lebensschwerpunkt und einem für sie positiven Lernklima aus. Dabei ist etwa die Entfernung zum Wohnort wichtig – gerade wegen des frühen Beginns auf den Stationen wird die Fahrtzeit zu einem bedeutsamen Kriterium. Die Höhe der Vergütung spielte nur eine untergeordnete Rolle.
Wenn sie sich für ein Akademisches Lehrkrankenhaus entscheiden, ist das eine gezielte Entscheidung. Etwa, weil sie dort möglicherweise auch ihre berufliche Zukunft sehen. Das PJ also als Kennenlernen eines potenziell interessanten zukünftigen Arbeitgebers.
Die Lehrkrankenhäuser sehen das übrigens auch als große Chance zur PR in eigener Sache und Rekrutierung für junge Ärzte. In Darmstadt ist der Anteil ehemaliger PJ-ler an den jungen Assistenzärzten jedenfalls relativ hoch.
Die Universität Mannheim-Heidelberg hat übrigens eine – wie ich finde – sehr smarte Lösung gefunden: Die Uniklinik bezahlt den PJ-lern gar nichts und kommuniziert das auch deutlich. Den Lehrkrankenhäusern ist die Höhe der PJ-Vergütung im gesetzlichen Rahmen absolut freigestellt. Und was glauben Sie ist das Ergebnis? Alle Institutionen haben trotz der unterschiedlichen Bezahlung genügend Bewerber für das PJ. Abgesehen davon wissen die Studierenden natürlich ohnehin durch den Buschfunk, wo was bezahlt wird. Viel wichtiger ist für sie jedoch: Wo ist die Klinik? Wie gut ist die Ausbildung dort?
Ich erwarte nicht, dass es unter den bestehenden gesetzlichen Vorgaben durch unterschiedliche Vergütungen zu einem Verteilungskampf um PJ-ler kommen wird. Hier spielen andere Faktoren eine viel wichtigere Rolle. Aber es wäre von Seiten des Gesetzgebers gegenüber den Studierenden fairer, die PJ-Vergütung noch stärker zu deregulieren, damit die Entlohnung endlich auf ein angemessenes Niveau gehoben werden kann, wie wir es von anderen Studiengängen (z.B. Lehrer, Juristen) schon seit langem kennen.“
Die puls.-Redaktion bedankt sich bei Herrn PD Dr. Adili für das engagiert Interview.
Bettina Wurche