Die neueste Schoko-Studie kam mitten im Sommerloch in dem wissenschaftlichen Journal „Neurology“ heraus:
“Neurovascular coupling, cerebral white matter integrity, and response to cocoa in older people” von Farzaneh A. Sorond et al heraus (August 7, 2013, doi: 10.1212/WNL.0b013e3182a351aa Neurology 10.1212/WNL.0b013e3182a351aa)
Das Ziel der Studie war der Nachweis der Steigerung der neurovaskulären Aktivität durch Kakao-Konsum bei älteren Menschen.
Simpler Versuchsaufbau, dünnes Resultat
Zwei Gruppen Senioren hatten über 30 Tage hinweg täglich zwei Tassen Kakao erhalten. Die eine Gruppe trank Kakao mit einem hohen Anteil von Flavonoiden, die andere Gruppe Kakao mit einem geringen Flavonoid-Anteil.
Am 1., 2., und 30. Tag wurden
- der Blutfluß im Gehirn
- die kognitive Fähigkeit
- die Reaktionsgeschwindigkeit
der Probanden gemessen.
Die dünne Schlussfolgerung des „Wissenschaftler“-Teams lautet:
“There is a strong correlation between neurovascular coupling and cognitive function, and both can be improved by regular cocoa consumption in individuals with baseline impairments. Better neurovascular coupling is also associated with greater white matter structural integrity.”
Das ist weder neu noch überraschend. Welcher Anreiz steckte hinter einer erneuten Schoko-/Hirn-Studie?
(Lesen Sie dazu auch den puls.-Beitrag “Schokoforschung im Sommerloch (1): Wissenschaft durch den Kakao gezogen”).
Vernichtendes Feedback von Experten
Die SPON-Redakteurin Nina Weber hat die Studie näher unter die Lupe genommen und eine sehr kritischen und sehr lesenswerten Beitrag geschrieben: „Brainfood-Studie: Was für ein Kakao“.
Zwischen beiden Gruppen war kein signifikanter Unterscheid zu erkennen, bei beiden schien es eine Verbesserung zu geben. Darum wurden die beiden Gruppen zu einer zusammengefasst und es gab als Resultat des Experiments die Schlussfolgerung, dass zwei Tassen Kakao täglich zu einer verbesserten Hirnleistung führen.
Weber hat dazu Gerd Antes vom deutschen Cochrane Zentrum interviewt.
Antes Fazit zu der Studie von Sorond et al:
„”Das eigentliche Studienziel wurde vollkommen verfehlt, und an dieser Stelle hätte die Arbeit enden sollen”, sagt Gerd Antes, der sich am Deutschen Cochrane Zentrum mit dem Aufbau medizinischer Studien auseinandersetzt. Er bemängelt bereits die Zahl von nur 60 Probanden, mit der nur ein sehr großer Effekt statistisch sicher zu belegen sei, sowie fehlende Angaben, wie die Probanden in zwei Gruppen aufgeteilt wurden. “Über meinen Schreibtisch wäre die Arbeit in der Form nicht gegangen”, sagt er.“
Die Medien hatten die Aussage, dass Kakao das Hirn ankurbelt natürlich begeistert aufgegriffen und unreflektiert weitergebenen (wie alle Studien zu diesem Thema).
Antes wirft den Wissenschaftlern vor: “Die Wissenschaft informiert die Medien hier falsch.” Dass eine Studie wie diese überhaupt in einem renommierten Fachmagazin veröffentlich wurde, sieht er als Symptom eines größeren Problems. Wissenschaftler, die in dieselbe Richtung forschen, würden ihre Arbeiten gegenseitig wohlwollend begutachten, anstatt auf deren Schwächen hinzuweisen. Negativ-Ergebnisse à la “Kakao hilft nicht” sind zudem nicht gern gesehen. “So werden Hypothesen weiterverfolgt, die man längst hätte abhaken können.” Das schade auch der Wissenschaft.“
Weber und Antes stehen mit dieser kritischen Einschätzung nicht allein:
Die Studie von Sorond et al wird auch in dem renommierten medizinischen Blog Doctors Lounge hart kritisiert:
“The researchers recruited 60 people with an average age of 73 and assigned them to 30 days of either drinking cocoa rich in flavanol — which is linked to improved blood flow — or drinking cocoa low in flavanol. The special cocoa was provided by Mars Inc., but the company didn’t have any other role in the study. […]The levels of flavanol in the drinks didn’t seem to matter, suggesting that flavanol has no effect or works in very small doses, Sorond said. It’s also possible that another ingredient, like caffeine, is responsible for the changes, she said.”
Sorond selbst gibt also im Interview zu, dass sie mit ihrem Experiment die positive Wirkung von Flavonoiden auf die Hirnaktivität nicht nachweisen kann.
Aber dafür hätte es keine neue Studie gebraucht.
Alle bisherigen hatten zum gleichen Ergebnis geführt.
Auch die US-amerikanische Alzheimer-Association hat die Publikation scharf kritisiert:
“The Alzheimer’s Association issued a statement on the study Wednesday, noting several caveats about the research.
“This is a very small and very preliminary study, and it is not well-designed as a test of an intervention or therapy,” said Maria Carrillo, vice president of medical and scientific relations at the association. “No one should start drinking cocoa with the expectation that it will provide cognitive benefits based on this study.”
“There was no control group in this study to compare to the group that drank the cocoa,” Carillo continued. Also, “factors that could possibly impact brain blood flow and/or cognition were not controlled, tracked or accounted for — as far as we can see in the article.”” (Doctors Lounge)
Es macht nachdenklich, dass alle anderen Medien derartig hanebüchene Schoko-Studien unreflektiert übernehmen. Sie sind sogar in der Ärztezeitung und auf Medizin-Blogs zu finden.
Unser Schoko-Fazit:
1. Schokolade ist fürs Gehirntuning nicht geeignet – sie putscht allerdings unabhängig vom Flavonoid-Gehalt schon durch den Cocktail aus Zucker und Koffein auf.
2. Überprüfen Sie Studien, bevor Sie sie begeistert zitieren, auf ihre Glaubwürdigkeit. Gerade Ergebnisse, die gut ins Konzept passen, könnten frisiert sein.
3. Essen Sie weiterhin Schokolade – als Süßigkeit. In Maßen.