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PULSmesser:Curriculum – Renne, eile, laufe oder du bleibst auf der Strecke!

"PULSmesser" - die Kolumne

"PULSmesser" - die Kolumne

Als Frankfurter Medizinstudent bekommt man gleich zu Beginn des Studiums, noch in der Einführungsveranstaltung, ein (zugegebenermaßen sehr hilfreiches, weil Übersicht bietendes) gelb-grünes Infoheftchen von der Uni in die Hand: das “Frankfurter Curriculum“.
Es liest sich wie ein Drehbuch unserer nächsten zwei Jahre. Nur die Wahl des Namens macht misstrauisch, wenn man sich einmal Gedanken zur Herkunft dieses Begriffes macht. Schließlich leitet sich „Curriculum“ vom lateinischen „currere“ ab, was so viel bedeutet wie „laufen, eilen, rennen, jagen“ und nur wenig an ein gewissenhaftes, gründliches Lernen erinnern mag. Unter „curriculum“ verstanden die alten Römer letztlich eine «Rennbahn»!

In unseren Stundenplänen ist unser Leben detailgenau durchgetaktet. Wer lange Pendlerzeiten zur Uni hat, wird sich mehr und mehr damit zufrieden geben müssen, in Bus und Bahn zu lernen, will er den vorgegebenen straffen Zeitplan des Studiums einhalten. Die Zeiten von Nachholklausuren fallen in die Vorbereitungszeit zu folgenden Regelklausuren und so geraten viele Studenten unweigerlich bereits in den ersten beiden Studienjahren ins Straucheln.
Doch wirklich zu misstrauen beginnt man den Plänen vor allem dann, wenn die Klinik die Vorklinik irgendwann ablöst – nicht nur, weil die „Curricula“ häufig verwirrend und widersprüchlich gestaltet sind.
Angesichts der vielen Veranstaltungen, die häufig direkt aufeinander folgen und sich an verschiedenen Enden des Campus befinden, „eilen“ wir durch unser Studium wie über eine Rennbahn: Aufspringen, die Treppen hinab eilen (mit jedem Schritt zwei Stufen nehmen!), Slalom zwischen Gebäuden, Baugruben und Grünanlagen und – Schlussspurt! – in den nächsten Hörsaal.

Denn Studium teilt mit dem Wort Stress nicht nur die ersten zwei Buchstaben.
Grotesk mutet es an, wenn sich Studenten dann in der Klinik sagen lassen müssen, es sei ja wohl kein Problem, auch mal ein Semester länger zu studieren, etwa wenn Blockpraktika kurzfristig und überraschendverlegt werden..
Akribisch auf die Universitätsvorschriften und Vorlesungszeiten angepasst gesuchte Famulaturen müssen wir dadurch spontan wieder absagen und können so Wunsch-Auslandsaufenthalte während des Studiums nicht durchführen.. Aber was soll’s: Kommt zum Rennen eben noch ein Hindernisparcours der Extra-Klasse hinzu!

Durch das Studium zu spazieren, zu tanzen oder zu schlendern bleibt da nicht mehr: Schnell sind Zeitnot und Organisationsstress unsere Begleiter, wir „rennen“ und „laufen“ von einem Fachbüro zum anderen, lernen nebenher im Eilschritt für knapp getaktete Klausuren, Zeit wird zur Not. Viele beginnen, am Schlaf zu sparen, schließlich hat ein jeder Tag nach wie vor nur 24 Stunden. Doch müde lernt sich’s schlecht, das wissen wir. Teil unseres Lerninhalts ist ja sogar, dass unser Gedächtnis neu Gelerntes erst im Schlaf abspeichert und mit bereits Gelerntem verknüpft.
Doch es bleibt keine Zeit… Natürlich kann es nicht Sinn und Zweck eines Studiums sein, ewig über irgendwelche Bummelwege zu trödeln. Doch sollte Zeit und Muße dafür bleiben, auch einmal nach links und rechts zu schauen und die Landschaft zu betrachten. Das Studium wird von den Älteren so oft als die „schönste Zeit im Leben“ gepriesen: Doch wer mittendrin steckt, merkt davon heutzutage nicht mehr viel.

Wenn man «eilen» muss, bleiben Dinge auf der Strecke, die doch Teil der Entwicklung sein sollten.
Da gilt als Versager, wer einmal vom Weg abkommt, wie uns Studenten auch von Professoren bereits direkt ins Gesicht gesagt wurde, von „Negativ-Aulsese“ wurde gesprochen. Einzige Messlatte ist die Geschwindigkeit der Fortbewegung und nicht deren Qualität. Sieger ist, wer zuerst das „Ziel“ erreicht! Doch, mal im Ernst: Wer erlangt hierdurch zwischenmenschliche Fähigkeiten, die doch für den Beruf eines Arztes, ebenso wie fundiertes Fachwissen, so unerlässlich sind?

Was nun lässt sich unternehmen, damit unser Studium nicht zu einer Farce verkommt? Es fehlt an Fachkräften, allgemein herrscht Ärztemangel. Natürlich wollen uns Staat und Land so schnell wie möglich an die Krankenhäuser schicken…
Nur, was haben wir davon?
Dort wird es genau so weitergehen! Notdienste, Bereitschaftsdienste, unbezahlte Überstunden…
Die wohl wichtigste Lektion habe ich von einer befreundeten Kommilitonin gelernt, die jetzt als Ärztin zu arbeiten beginnt: Bleibe dir treu, orientiere dich an deinen Kräften und Fähigkeiten und gehe, was das betrifft, keine Kompromisse ein!
Das Studium werden wir, jeder in seiner eigenen Geschwindigkeit, bewältigen, später im Job dann haben wir bei der Bewerbung und Einstellung durchaus Mitspracherecht. Und, ganz allmählich, wird an höchster Stelle bemerkt, dass sich etwas ändern MUSS, so hoffen wir, nicht nur zum Wohl des Patienten.

Träumen wir von einer menschenfreundlichen Approbationsordnung, zu bewältigenden Klausurterminen, organisatorischer Durchsichtigkeit in der Universitätszeit und
von Teilzeit-Modellen, fairer Bezahlung, Pausen mit warmem Mittagessen und geregelten Arbeitszeiten für die Zukunft als Arzt!

Auris

4 Kommentare

  1. welle-wave-onda-dalga

    01/05/2012 @ 23:21

    Sehr recht hast du auris! ich glaube der Weg zur Änderung ,ist das gemeinschaftliche Interesse am LEBEN! Wer Leben will, kennt Genuss, Muße, Ruhe, Freizeit aber auch Erfolg, Fleiß und Arbeit. Nur Müssen wir alle laut danach Schreien, damit die Balance zwischen diesen Seiten auch im Studium und im Krankenhaus endlich mal erreicht wird! Nur weiter so!!Ich tue mein bestes um Laut einzufordern was uns zusteht!

  2. Richtig, das trifft’s auf den Punkt genau, Auris. Mehr ist dem nicht hinzuzufügen…

  3. exakt! Was hat der Patient von unserer wirtschaftlichen Auspressung schon in der Unizeit? – Was haben wir von den bedienten Eitelkeiten? – Auch sie werden einmal Patienten sein! Daumen nach oben, Auris!