Was ist Palliativmedizin?
Palliativmedizin setzt, im Gegensatz zur heilenden (curativen) Medizin auf lindernde (palliative) Maßnahmen bei unheilbaren Krankheiten.
Die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin versteht unter Palliativmedizin „[…] die Behandlung und Begleitung von Patienten mit einer nicht heilbaren, progredienten und weit fortgeschrittenen Erkrankung mit begrenzter Lebenserwartung.“
Die WHO fasst das Feld der Palliativmedizin noch etwas weiter und berücksichtigt auch das familiäre Umfeld: „Palliativmedizin ist ein Ansatz zur Verbesserung der Lebensqualität von Patienten und ihren Familien, die mit den Problemen konfrontiert sind, die mit einer lebensbedrohlichen Erkrankung einhergehen, und zwar durch Vorbeugen und Lindern von Leiden, durch frühzeitiges Erkennen, gewissenhafte Einschätzung und Behandlung von Schmerzen sowie anderen belastenden Beschwerden körperlicher, psychosozialer und spiritueller Art.“
Frau Dr. Gog leitet zurzeit als Oberärztin die Chirurgische Onkologie (Onkologie/Palliativmedizin/Psychoonkologie – Klinik für Allgemein -und Viszeralchirurgie), seit dem 01.04.2012 ist sie die Leiterin der neuen Palliativ-Station. Sie hat die Lehrveranstaltungen zu diesem Thema maßgeblich mit entwickelt und ist auch an ihrer Durchführung beteiligt. Im Interview erzählt sie über die Bedeutung der Palliativmedizin, ihre tägliche Arbeit und was der Umgang mit Schwerstkranken für Ärzte und Ärztinnen bedeutet.
Seit dem WS 2011 gibt es nun eine Vorlesung und ab dem SS 2012 ein Wahlpflichtfach.
Interview mit Frau Dr. Christiane Gog zum Wahlpflichtfach Palliativmedizin
„PULS.“: „Frau Dr. Gog, was ist Palliativmedizin?“
C. G.: „Die Palliativmedizin hat unter anderem das Ziel, dass der Patient, die Patientin, wieder nach Hause gehen soll. Auch wenn die Menschen todkrank sind. Die Palliativmedizin soll sie auf diesem Weg begleiten und bietet dazu ein umfassendes Programm aus Schmerztherapie, psychosozialer Unterstützung, Ernährungsberatung und anderen Methoden an. Dazu kommen auch Hilfestellungen etwa beim Umgang mit der Rentenversicherung. Nicht nur die Patienten selbst, sondern möglichst die ganze Familie erhält damit eine umfassende Begleitung. Auch wenn es letztlich eine Sterbebegleitung ist.Das Konzept des „total pain“ besagt, dass der Schmerz viele Aspekte hat und den ganzen Menschen verändern kann. Das müssen wir in der Palliativmedizin sorgfältig berücksichtigen. Die Palliativmedizin wird in der Öffentlichkeit oft mit dem Hospiz-Gedanken gleichgesetzt. Das ist aber absolut nicht richtig.
Die Palliativmedizin umfasst aber auch die Sterbebegleitung. Das ist eine besonders intensive Begegnung, die nicht technisiert werden darf. Früher war der Tod Teil des Alltags. Heute ist das anders. Man erlebt in unserer Kultur nur noch sehr selten oder sehr spät im Leben den Tod eines Menschen. Unsere Studierenden sollten lernen, dass der Tod ein normaler Teil unserer Existenz ist.“
„PULS.“: „Wie sind Sie zur Palliativmedizin gekommen?“
C. G.: „Im Studium ist das das Thema nur sehr kurz angerissen worden. Als Chirurgische Onkologin behandle ich ausschließlich onkologische Patienten, da ist die palliative Situation irgendwann unausweichlich. Und ich wollte mehr darüber wissen. Ich habe dann an der Universität Dresden den zweijährigen Masterstudiengang Palliative Care absolviert.
Eine solche spezielle und umfassende Weiterbildung wird in Deutschland bisher nur in Dresden und Freiburg angeboten. In England ist das ganz anders, da gehört die palliative Versorgung von Patienten schon lange in die Ausbildung und wird dort auch sehr ernsthaft durchgeführt. Dementsprechend gibt es dort auch viele Mediziner, die sich mit dem Thema gut auskennen.“
„PULS.“: Ist die Palliativmedizin an anderen deutschen Medizin-Fakultäten im Curriculum verankert? Und wie sieht die derzeitige Entwicklung in Frankfurt aus?“
C. G.: „Seit 2009 steht Palliativmedizin verpflichtend im Medizin-Curriculum. Bei uns wurde das schwierige Thema bisher vor allem von den Allgemeinmedizinern mit unterrichtet, da viele Hausärzte mit solchen Situationen in ihrem Alltag konfrontiert werden.
Ich selbst habe im Rahmen des PJ-Seminar zu onkologischen Themen angeboten. Und jedes Mal kamen wir dabei auf die Palliativmedizin, es war deutlich zu merken, wie wichtig dieses Thema für die Studierenden ist. Daraufhin habe ich es standardmäßig integriert. Seit dem letzen Wintersemester bieten wir nun eine feste interdisziplinäre Vorlesung „Palliativmedizin“ an, Herr Dr. Schäfer aus dem Institut für Allgemeinmedizin ist z.B. auch daran beteiligt. Ab diesem Semester kommt das Wahlpflichtfach dazu.“
„PULS.“: „Was genau umfasst der Kurs?“
C. G.: „Wir bieten einen Kurs an, in dem die Studierenden sich die Inhalte auch mit Rollenspielen und Fallbeispielen aktiv erarbeiten müssen. Weiterhin gibt es einen praktischen Teil mit Hospitation in einer palliativmedizinischen Einrichtung. Sie müssen u. a. einen Fallbericht schreiben, der dann benotet wird.
Dabei wird auch geschaut, wie es dem Studierenden mit der Situation geht. Wir gehen davon aus, dass jeder Mediziner und jede Medizinerin eigene Strategien zum Umgang mit dem Thema entwickelt. Auch die Arzt-/Patient-Kommunikation wird noch einmal gesondert thematisiert.“
„PULS.“: „Die Arbeit mit todkranken Menschen ist sicherlich besonders belastend. Wie wird das im Kurs thematisiert?“
C. G.: „Diese sehr starke Belastung ist ein Teil der Gruppenarbeit. Außerdem können sich die Kursteilnehmer auch für weitere Gespräche an die Kursleiter wenden. Jeder Palliativmediziner muss lernen, damit umzugehen und für sich selbst gute Kompensationsmethoden zu finden. Zusätzlich kann es sinnvoll sein, eine regelmäßige Supervision zu machen.
Auch das Überbringen schlechter Nachrichten – „breaking bad news“ – muss gelernt werden. Die Universität Heidelberg bietet dazu einen kostenlosen Kurs für Studenten an, den ich nur empfehlen kann. Dort werden solche Gespräche im Rollenspiel mit Schauspielern geübt.
In der Palliativmedizin ist es ganz besonders wichtig, dass man sich selbst zurück nimmt. Wichtig ist: Was will der Patient? Was ist gut für ihn?“
„PULS.“: „Sie erwähnten das Konzept des „total pain“ Was verbirgt sich dahinter?“
C. G.: „Es bedeutet, dass bei einer so schweren Erkrankung, die letztendlich zum Tod führt, der ganze Mensch betrachtet und behandelt werden soll. Es geht nicht um das Kurieren einzelner Befunde und Symptome, sondern um das gesamte Empfinden und die gesamte Geschichte. Körperliche Schmerzen und das Bewusstwerden einer finalen Erkrankung können den ganzen Menschen beeinflussen und verändern. Dieses umfassende Leiden erfordert unsere umfassende Achtsamkeit. Wir begleiten diese schwer erkrankten Patienten und Patientinnen physisch und psycho-sozial, darüber hinaus auch kulturell und spirituell.“
„PULS.“: „Sie übernehmen jetzt die Leitung der Palliativ-Station. Welche Veränderungen wird es zu ihrer bisherigen Arbeit geben?“
C. G.: „Ich kann mich dann noch stärker auf dieses wichtige Thema konzentrieren.
So gibt es z. B. das Projekt Liverpool Care Pathway for the dying (LCP), ein Leitfaden für die Begleitung von sterbenden Patienten. Dazu gehören die Broschüren „Palliative Betreuung“ und „Wenn ein geliebter Mensch stirbt…“ für die Angehörigen und Hinterbliebenen und „Palliative Betreuung“ für Fachpersonen. Aktuell wird gerade ein Leitfaden zur Patientenverfügung erarbeitet. Diese Broschüren können wir den Angehörigen und dem Fachpersonal an die Hand geben und ihnen dadurch den Umgang mit der schwierigen Situation erleichtern. Diese einfühlsam geschriebenen Broschüren sind allerdings nur eine Ergänzung zum persönlichen Gespräch.
Außerdem wird es auf der Palliativ-Station für alle MitarbeiterInnen aller Berufsgruppen Supervisionen und regelmäßige Fortbildungen geben.“
Bettina Wurche
„PULS.“ bedankt sich bei Frau Dr. Gog für das engagierte Interview.
Das Interview führte „PULS.“-Redakteurin Bettina Wurche.