Am 11.04.2013 starb der Virologe Hilary Koprowski (96) – er hatte den ersten oralen Impfstoff gegen die gefürchtete Kinderlähmung entwickelt.
Ein Zuckerwürfel mit Medizin
Ich erinnere mich deutlich, dass ich als sehr kleines Kind in einem großen Gang einer deutschen Behörde neben meiner Mutter saß. Dann kam eine weiß gekleidete Krankenschwester vorbei, die ein Tablett mit Zuckerwürfeln trug. Und ich durfte einen davon essen und wurde dafür auch noch gelobt! Naja, er hatte schon einen etwas bitteren Nachgeschmack, wahrscheinlich hätte ich keinen zweiten naschen wollen.
Überhaupt wurde um diesen Zuckerwürfel ein Mordsaufhebens gemacht, der mir als Kleinkind völlig unverständlich blieb. Der Zuckerwürfel hieß in diesem Fall nicht „Süßigkeit“ sondern „Schluckimpfung“ – ein Adelsschlag für den an sich ungesunden Industriezucker.
Viel später begriff ich den Sinn dahinter und dann begleitete mich der Spruch „Schluckimpfung ist süß, Kinderlähmung ist bitter“ durch die Kindheit und Jugend. Irgendwann verschwand er.
Hilary Koprowski – Pionier im Kampf gegen die Kinderlähmung
Hilary Koprowski war ein polnisch-amerikanischer Virologe und Immunologe.
Er wurde am 5. Dezember 1916 in Warschau geboren, wuchs dort auf und studierte Medizin. Nach dem deutschen Überfall 1939 floh er mit seiner Frau und kam über verschiedene Stationen schließlich in die USA, wo er am 11. April 2013 in Philadelphia verstarb.
Nach seiner Promotion 1935 hatte er sich der medizinischen Forschung verschrieben und an verschiedenen Impfstoffen gearbeitet. Der Autor von über 875 wissenschaftlichen Veröffentlichungen und Mitherausgeber mehrerer Zeitschriften wurde schließlich Berater der der Weltgesundheitsorganisation WHO und der Panamerikanischen Gesundheitsorganisation.
Trotz seiner großen Verdienste im Kampf gegen die tückische Kinderlähmung stand seine Forschungsarbeit im Schatten seiner Kollegen Jonas Salk und Albert Sabin.
Koprowski war nicht nur ein genialer Virologe, sonder auch ein ein begnadeter Musiker.
Spritzen statt Schlucken
Die Schluckimpfung enthielt lebende, nicht krankheitsauslösende Viren. „Dadurch kam es vor, dass etwa einer von fünf Millionen Geimpften tatsächlich durch die Impfung erkrankte, wenn er ein schwaches Immunsystem hatte. „Selbst dieses sehr geringe Risiko will man heute nicht mehr eingehen“, sagt Fred Zepp vom Zentrum für Kinder und Jugendmedizin der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz. Weil heute die Kinderlähmung in Deutschland als besiegt gilt, bekommen Kinder mittlerweile nur noch den verbesserten Totimpfstoff per Spritze. […]“
(Focus online: „Warum gibt es gegen Kinderlähmung keine Schluckimpfung mehr?“)
Die Viruserkrankung Polio hat bis in die 60er-Jahre auch in Deutschland viele Opfer gefordert. „Mit groß angelegten Impfkampagnen gelang es, die Krankheit zurückzudrängen. Der letzte Fall in Deutschland wurde 1992 […]. Seit 2002 gilt ganz Europa offiziell als poliofrei.“
Im vergangenen Jahr wurden nur noch aus Nigeria, Pakistan und Afghanistan neue Polio-Fälle gemeldet. Das Ziel der WHO ist die globale Ausrottung der Kinderlähmung durch große Impfkampagnen. (FR: „Wir haben es fast geschafft“: Interview mit Reinhard Burger, Präsident des Robert-Koch-Instituts, über das absehbare Ende einer globalen Seuche, der Kinderlähmung, und die letzten Schritte zum Erfolg.)
Zum Weiterlesen:
Nachrufe auf H. Koprowski in der LA Times, New York Times und Huffington Post.
Bettina Wurche