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Klinik: Interview mit Herrn Prof. Dr. Dr. Groneberg zur Medizinischen Soziologie

Das Institut für Medizinische Soziologie wird laut Fachbereichsrats-Beschluss vom 10.03.2011 zu einer Abteilung im Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin.
Der Dekan Herr Prof. Dr. Pfeilschifter hatte in einem Gespräch mit der Frankfurter Rundschau am 11.03.2011 zugesagt, dass die Medizinische Soziologie Pflichtteil der Medizinischen Ausbildung bleibt.

Wie werden sich die Veränderungen auf die Lehre der Medizinischen Soziologie auswirken?
Wird es auch weiterhin Forschung zur Medizinischen Soziologie in Frankfurt geben?
„PULS.“ hat Herrn Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Groneberg, den neuen Leiter des Instituts für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin, dazu interviewt.

Interview mit Herrn Prof. Dr. Dr. Groneberg am 13.03.2011

„PULS.“:„Herr Prof. Dr. Dr. Groneberg, Sie haben erst im Februar 2010 den Ruf nach Frankfurt angenommen und einen großen Teil Ihrer Arbeitsgruppe von der Berliner Charité mitgebracht. Aufgrund des Fachbereichsrats-Beschlusses vom 10.03.2011 wird das Institut für Medizinische Soziologie geschlossen und an Ihr Institut eingegliedert.
Was genau bedeutet der Fachbereichsbeschluss für die Medizinische Soziologie? Hat es Alternativen dazu gegeben?“

D. G.: „Ich bedauere sehr, dass das Institut für Medizinische Soziologie geschlossen wird. Bei meiner Rufannahme habe ich mich für Frankfurt unter anderem auch deswegen entschieden, weil es hier eine exzellente Sozialforschung gibt. Als Professor für Sozialmedizin brauche ich diesbezüglich eine enge Verknüpfung. Das „worst case“-Szenario einer kompletten Schließung ist allerdings nicht eingetreten. Die Medizinische Soziologie wird – allerdings ohne die Fortsetzung der Professur – mit ihrem kompletten Mitarbeiterstamm eine eigenständige Abteilung innerhalb des Instituts für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin. Die Medizinische Soziologie wird also nicht zerschlagen, sondern kann ihre Arbeit in dieser Konstellation so fortsetzen. Die Studierenden haben sich gemeinsam mit dem Dekan im Fachbereichsrat sehr nachdrücklich und erfolgreich für diese konstruktive Lösung eingesetzt. Die Medizinische Soziologie bleibt also Bestandteil des Curriculums und des Medizin-Campus. Die Auflösung des Instituts bedeutet nicht das „Aus!“. Stattdessen werden die beiden befristeten Stellen, die jetzt existieren, durch unbefristete ersetzt, damit wird die Kontinuität der Arbeit gewährleistet.
Zwei andere Alternativen zur jetzigen Lösung sind diskutiert worden:
1. Das Outsourcing der gesamten Medizinischen Soziologie -Lehre an externe ehrenamtliche Dozenten. Damit hätte de facto keine Forschung mehr stattgefunden.
2. Die Zerschlagung des Instituts und das Aufsplitten der vorhandenen Stellen an andere Institute. Auch damit hätte es keine zusammenhängende Forschung und Lehre im Sinne des Humboldtschen Ideals gegeben – dieser Begriff bezeichnet heutzutage die zentrale Idee der Einheit von Forschung und Lehre.
Diese Alternativen waren also inakzeptabel und wurden vom Fachbereichsrat verworfen.“

„PULS.“: „Aus dem Artikel in der FAZ vom 01.03.2011 geht hervor, dass die Studierenden der Medizinische Soziologie große Bedeutung beimessen. Welchen Platz hat die Medizinsoziologie im Medizinstudium? Geht es dabei um die Patientenkommunikation?“
D. G.: „Die direkte Arzt-Patient-Beziehung und Kommunikation fällt eher in den Bereich der Medizinischen Psychologie. Die Interaktion zwischen Arzt/Therapeut und Patient wird allerdings im Bezugssystem der Gesellschaft durch die Medizinsoziologie analysiert. Es geht dabei um das Berufsbild des Ärztes/der Ärztin. Dieses Berufsbild ist in einem sich wandelnden System auch einem beständigen Wandel unterworfen und wir müssen unseren Studierenden da unbedingt etwas mit auf den Weg geben.“

„PULS.“: „Der Lehrbetrieb soll nach Aussage des Dekans aufrechterhalten werden. Aber wird auch weiterhin Forschung betrieben? Oder wird es künftig Lehre ohne Forschung geben? Ist eine gute Lehre ohne Forschung überhaupt möglich?“
D. G.: „Ärzte haben heute ein ganz anderes Anforderungsprofil, das sich in den letzten Jahren extrem verändert hat – auch weil sich die Krankenhausstrukturen ständig ändern. Diese Veränderungen können wir nur durch kontinuierliche Forschung erfassen und dann in der Lehre den Studierenden mit auf den Weg geben. Die Einheit von Forschung und Lehre muss unbedingt gewährleistet werden. Ohne funktionierende Forschung ist eine gute Lehre auf universitärer Ebene nicht auf lange Sicht  machbar. Kurzfristig ist das möglich, aber nicht dauerhaft.“

„PULS.“: „Wie sieht es in der gegenwärtigen Situation mit PJ und Doktorarbeiten in der Medizinischen Soziologie aus?“
D. G.: „Die Medizinsoziologie ist ein vorklinisches Fach und damit nicht im PJ verortet, wo man beispielsweise aber Arbeitsmedizin machen kann. Doktorarbeiten werden allerdings wieder möglich. Ich habe in Berlin sehr viele Studierende zur Promotion geführt und werde auch hier in Frankfurt großen Wert auf eine strukturierte Doktorandenausbildung an meinem Institut legen. Der eigenständige Bereich Medizinsoziologie wird dabei auch eine Rolle spielen.“

„PULS.“: „Wie sehen Sie aus heutiger Sicht die Perspektiven der Medizinischen Soziologie und von Haus 9 A? Welche Schwerpunkte wird es in der Forschung geben?“
D. G.: „Der Schwerpunkt der Forschung der Abteilung für Medizinische Soziologie wird künftig nicht nur im Bereich der Gesundheitssystemforschung, sondern auch im Bereich des Berufsbildes Arzt/Ärztin und dem Medizin-Studium liegen.”

„PULS.“: „Die verwaiste Professur soll erst mal nicht nachbesetzt werden. Es wird nach Sponsoren gesucht, um eine Stiftungsprofessur einzurichten.
Ist das realistisch?“

D. G.: „Ja! Zurzeit klagen z. B. Krankenhausbetreiber über den bereits existierenden Ärztemangel, der sich in den nächsten Jahren noch eklatant verschärfen wird. Der Ärztemangel liegt unter anderem daran, dass Studierende auf ihre spätere Rolle im Arztberuf ungenügend vorbereitet werden und abwandern. Die Medizinische Soziologie kann hier durch Forschung helfen. Unsere Ansprechpartner für eine Stiftungsprofessur sind  Krankenhausbetreiber, Verbände und andere Institutionen die unter dem Ärztemangel leiden. Sie haben ein unmittelbares Interesse daran, dass Medizinische Soziologie weiter betrieben wird. Darum ist es durchaus realistisch, dass diese Institutionen eine Stiftungsprofessur finanzieren werden. Zurzeit gibt es an der Universität Frankfurt an die 50 Stiftungsprofessuren und wir werden hoffentlich auch einen Geldgeber für die Medizinische Soziologie finden. Wir müssen jetzt erst einmal sehen, dass die vorhandenen freien Stellen gut besetzt werden.
Dann haben wir etwas zum Vorzeigen, um weitere Gelder einzuwerben.
Die eigentliche Arbeit für den Erhalt und Ausbau der Medizinischen Soziologie beginnt jetzt. Alle sind aufgefordert, aktiv mitzuhelfen.“

„PULS.“: „Welche weiteren Konsequenzen hat die Schließung des Instituts für Medizinische Soziologie für die Mitarbeiter und das Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin?“
D. G.: „Das bedeutet zunächst einmal eine gewaltige Herausforderung. Die Medizinische  Soziologie wird als eigene Abteilung weitergeführt, das bedeutet für mich zusätzliche administrative Aufgaben. Alle Mitarbeiter des Instituts für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin wollen aktiv mithelfen, den Kolleginnen und Kollegen der Medizinischen Soziologie die Zukunft zu erleichtern.“

„PULS.“: „Wie könnten Synergien aussehen?“
D. G.: „Die Medizinische Soziologie war für mich mit ein Grund, nach Frankfurt zu kommen. Wenn das Institut für Medizinsoziologie schon aufgelöst werden muss, dann halte ich die Eingliederung dieser Abteilung als eigenständigen Bereich im Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin inhaltlich für eine gute Idee. Viele Fragestellungen aus der Soziologie hängen eng zusammen mit der Sozialmedizin. Es geht dabei oft um die Auswirkungen gesellschaftlicher Prozesse. Für künftige Forschungsprojekte könnte es ein großer Vorteil sein, wenn solche inhaltlich eng zusammenhängenden Abteilungen gemeinsame Anträge mit interdisziplinären Aspekten stellen.“

„PULS.“: „Wie definieren Sie Ihr Verhältnis zu den Studierenden?“
D. G.: „Ich fühle mich immer noch sehr nah am Studium dran. Da ich schon mit 28 Jahren – drei Jahre nach dem Studienabschluss – Professor war, hatte ich immer ein sehr großes Interesse an einer aktuellen Lehre, die auf die Bedürfnisse der Studierenden eingeht.  Auch wenn ich jetzt etwas älter bin, hat sich an dieser Nähe und meinem Interesse an guter Lehre und einer guten Studiensituation nicht viel geändert. Ohne die Studierenden wären wir keine Uniklinik – sondern ein gewöhnliches Krankenhaus. Dieses dürfen wir nie vergessen. Wir sind nicht nur unseren Patientinnen und Patienten und deren Wohlergehen verpflichtet, sondern auch der Studierendenschaft.“

Bettina Wurche

„PULS.“ dankt Herrn Professor Dr. Dr. David Groneberg für das engagierte Interview.

Das Interview führte „PULS.“-Redakteurin Bettina Wurche.

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