Artikelformat

Interview mit Marcel Greco: FRZSE (Frankfurter Referenzzentrum für Seltene Erkrankungen)

FRZSE

FRZSE-Wahlpflichtfach: Treffen am 21.11.2013

Treffen ist am 21.11.2013

Marcel Greco (5. Klinisches Semester) ist der studentische Leiter des Frankfurter Referenzzentrums für Seltene Erkrankungen (FRZSE).

Eine Krankheit gilt in der EU als selten, wenn nicht mehr als 5 von 10.000 Menschen davon betroffen sind. Das heißt, dass viele der Seltenen Erkrankungen in den meisten Arztpraxen kaum oder gar nicht vorkommen und dementsprechend wenig bekannt sind.
Seltene Krankheiten werden im Englischen als orphan disease (engl. orphan „Waise“, disease „Krankheit“) bezeichnet.
Daher kommt auch der Name der Datenbank „Orphanet“, mit der die Studierenden häufig arbeiten. Orphanet ist eine Datenbank rund um seltene Krankheiten, deren Symptomen und den passenden Expertenzentren.”

puls.: „Was macht das „Frankfurter Referenzzentrum für Seltene Erkrankungen“ und was machen Sie als Studierender dort?“
M. G.: „Mittlerweile gibt es in mehreren deutschen Städten, vor allem in Universitätskliniken, Zentren für Seltene Krankheiten.
Diese Zentren sind Anlaufstellen für Patienten, denen von anderen Ärzten nicht geholfen werden konnte und bei denen vermutet wird, dass sie eine Seltene Krankheit haben könnten.
Das FRZSE bündelt die im Universitätsklinikum Frankfurt vorhandenen Ressourcen für die Diagnostik und Therapie von Seltenen Erkrankungen.

Herr Prof. Dr. Wagner leitet mit einer Assistenzärztin das studentengeführte Zentrum.
Dort können Patienten mit Seltenen Krankheiten oder Patienten „ohne Diagnose“ Rat suchen – sie schicken zunächst zur Begutachtung ihre vollständige Krankenakte ein. Herr Prof. Wagner entwickelte die Idee, Studierende an dem Projekt mit einzubinden, um die enorme Fülle der Anfragen effizienter bearbeiten zu können.
Er war zudem der Meinung, dass Studierende noch einen „ungetrübten Blick“ haben. Das heißt, sie sehen Patienten noch nicht aus der Perspektive einer fachärztlichen Disziplin heraus, sondern sind in Gedanken noch sehr offen. Und gerade bei diesen schwierigen Fällen kann das von großem Vorteil sein.
So kam es zu dem Wahlpflichtkurs „FRZSE- Sehen was keiner sieht“, der auch ab sofort wieder angeboten wird. Interessierte Studierende ab dem 1. klinischen Semester sind noch herzlich willkommen! Das erste Treffen ist am 21.11.2013.
Ich selbst bin von Anfang an dabei und habe bereits begonnen, meine Promotion hier zu schreiben.“

puls.: „Was für Patienten melden sich im FRZSE?“
M. G.: „Die Patienten haben oft schon einen langen Weg zu vielen verschiedenen Ärzten hinter sich, wenn sie sich an das Zentrum wenden. Sie sind oft schon verzweifelt, weil ihnen bisher niemand helfen konnte. Das Zentrum ist für sie dann die letzte Hoffnung.“

puls.: „Wie viele Patientenakten werden hier zurzeit bearbeitet und wie viele Studierende arbeiten jetzt im Zentrum?“
M. G.: „Im Moment sind es etwa 30 unbearbeitete Fälle und ungefähr 15, die aktuell interdisziplinär diskutiert werden. Im Zentrum sind nun etwa 10 Studierende, die bereits jeder mindestens eine Akte bearbeiten. Da die Fälle sich wegen der Folgeuntersuchungen über einen längeren Zeitraum hinziehen können, nimmt man manchmal auch einen zweiten oder dritten Fall dazu.“

puls.: „Wie läuft die Arbeit im FRZSE ab und welche Aufgabe haben die Studierenden dabei?“
M. G.: „Die Patienten melden sich bei uns und schicken uns zunächst ihre Akte zu. Jeder Student nimmt sich dann als sogenannter Case Manager eine Akte und vertieft sich in den Fall.
Ein Patient wendet sich von sich aus an das Zentrum, er muss für die Annahme einen detaillierten Fragebogen zusammen mit einem Arzte seines Vertrauens beantworten. Das ist meistens der Hausarzt. In dem Fragebogen wird alles aufgelistet, um einen groben Überblick zu erhalten: Die bisherigen diagnostischen Wege und Therapien. Die Medikation. Und andere relevante Informationen.
Da hier bereits eine sehr umfangreiche Informationssammlung vorhanden ist, führen wir initial meistens keine weitere Anamnese durch.
Aus der oft sehr umfangreichen Akte schreibt der für den Fall verantwortliche Studierende dann eine Zusammenfassung, die er mit Herrn Prof. Wagner bespricht.

Dann geht es im Seminar mit der Fallstudie weiter: Der Student stellt den Fall vor.
Danach macht er Vorschläge, was die Krankenhäuser/Ärzte weiter untersuchen könnten. Wir können natürlich keine Anweisungen erteilen, sondern nur Vorschläge äußern. Etwa ein bestimmtes Enzym zu untersuchen.

Herr Prof. Wagner kommentiert, antwortet und ergänzt:
Was liegt bis jetzt vor? Welche weiteren Untersuchungen könnten weiterhelfen? Wie sollte man weiter vorgehen? In welcher Datenbank könnte man weiter suchen?
Oft gibt es noch mit anwesenden Fachspezialisten der Uniklinik interdisziplinäre Diskussionen.
Nach der Besprechung wird das weitere Vorgehen geplant.
Herr Prof. Wagner macht die ärztliche Supervision und unterstützt uns beim Aufsetzen und Versenden des Arztbriefs.
Falls nötig können wir auch vorschlagen, einen Patienten stationär aufzunehmen, um dann einige Untersuchungen durchführen zu lassen. Das wird dann überwiegend von uns organisiert.“

puls.: Worin besteht der Vorteil eines solchen Zentrums an einer Universitätsklinik gegenüber den Arztpraxen?
M. G.: „Im Zentrum läuft Vieles zusammen. Zunächst einmal hat das Zentrum in einer Uni-Klinik den unmittelbaren Vorteil, dass hier sehr viele Spezialisten nahe beieinander ansprechbar sind.
Nötigenfalls kann jemand stationär aufgenommen werden.

Eine solche konzertierte Aktion in einem Zentrum kann Kosten sparen, weil die Patienten nicht einfach selbst von Arzt zu Arzt ziehen, sondern ein Case Manager dies alles mit Gesamtblick plant. So werden Mehrfachuntersuchungen verhindert und der Patient kommt meist schneller zur Diagnose. Weiterhin haben die studentischen Mitarbeiter weitaus mehr Zeit als ein niedergelassener Kollege, der oftmals mit einem betroffenen Patienten im Alltag überfordert ist.“

puls.: „Welchen Vorteil haben Menschen mit seltenen Krankheiten von der Zusammenarbeit mit Studierenden?“
M. G.: „Studierende sind noch nicht auf eine Fachrichtung spezialisiert, sie denken noch in alle Richtungen.
Das kann hier sehr wichtig werden. So werden manche Krankheitsbilder, für die ein Arzt keine Diagnose findet, gern als psychosomatisch betrachtet. Damit steckt ein Patient dann in einer Schublade und wird dementsprechend behandelt. Oft wird dadurch der Blick getrübt, dass es auch noch andere Krankheitsursachen geben könnte. Wir Studierende sind da noch nicht ganz so festgefahren und halten auch das extrem Seltene für nicht ausgeschlossen. Deshalb beenden wir einen Fall auch erst, wenn wir ihn intensiv diskutiert haben.“

puls.: „Welche Vorteile hat die Mitarbeit im FRZSE für die Studierenden?“
M. G.: „Die Arbeit ist extrem vielschichtig! Die Patienten haben ganz unterschiedliche Krankheiten,  es geht daher sehr interdisziplinär und spannend zu. Wir arbeiten sogar mit Genetikern zusammen. Man kann dabei unheimlich viel lernen und es macht richtig Spaß. Früher habe ich immer bei Dr. House mitgerätselt.
Heute kann ich dies bei echten Patienten tun. Das ist viel besser!
Als Studentenklinik organisieren wir uns komplett selbst, wobei wir natürlich durch Herrn Prof. Wagner jederzeit unterstützt werden. Dadurch entwickeln wir ein enormes Maß an Eigenverantwortlichkeit, Selbstdisziplin und Organisation. Das fordert uns zwar auch, wird aber für unseren weiteren Berufsweg ausgesprochen nützlich sein.“

 

puls.: „Wie reagieren die Patienten darauf, von Studierenden behandelt zu werden?

M. G.: „Ich habe noch nie erlebt, dass ein Patient ein Problem damit gehabt hat, dass er von Studierenden behandelt wird.
Viele Patienten waren auch schon bei vielen Ärzten, ohne dass ihnen geholfen werden konnte und sind dann einfach dankbar, dass sich jemand um sie kümmert. Manche sind schon ein bisschen verzweifelt.

Und wir bemühen uns wirklich sehr, ihnen zu helfen. Unser Vorteil ist natürlich, dass wir uns mehr Zeit für aufwändige Recherchen nehmen können und dass im Uni-Klinikum so viele Spezialisten ansprechbar sind.“

 

puls.: „Haben Sie denn schon einigen Patienten helfen können?“

M. G.: „Ja, natürlich. Wir haben schon erfolgreich einige Diagnosen stellen können. In manchen anderen Fällen gibt es auch mal keine Diagnose, aber wir haben erfolgreiche Therapievorschläge gemacht, so dass den Patienten definitiv geholfen werden konnte.
Oft stellt sich auch heraus: Es ist gar keine seltene Krankheit, sondern eine Verkettung mehrerer wohl bekannter Krankheiten, die zu spezifischen Wechselwirkungen geführt und damit einem ungewöhnlichen Bild geführt haben. Aber auch dann sind wir ein großes Stück weiter, denn dann können die einzelnen Krankheiten benannt und therapiert werden.

Ich habe jetzt einen Fall, bei dem Vieles auf eine rheumatologische Erkrankung hindeutet. Der Patient wurde aber noch nie komplett von einem Rheumatologen untersucht. Das werden wir jetzt als nächstes in Angriff nehmen und hoffen, dass wir dann die richtige Diagnose finden und schnell mit einer adäquaten Therapie beginnen können.“

puls.“ dankt Herrn Greco für das spannende Interview.
Das Interview führte „puls.“-Redakteurin Bettina Wurche.

Zum Weiterlesen:
https://www.thieme.de/viamedici/mein-studienort-frankfurt-1584/a/frankfurt-frzse-17258.htm

Kommentare sind geschlossen.