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Forschung: Narratives Erzählen für besseres Verständnis

In dem Beitrag „Gesundheitliche Aufklärung: Mit Emotionen gegen Medizin-Mythen“ (süddeutsche online)  stellt der Autor einen brandaktuellen Kommentar von Zachary F. Meisel, MD, MPH, MS und Jason Karlawish, MD vor. Meisel und Karlawish beschäftigen sich in ihrem Beitrag “Narrative vs Evidence-Based Medicine—And, Not Or“ in dem angesehen Journal of the American Medical Association (JAMA. 2011;306(18):2022-2023. doi: 10.1001/jama.2011.1648) damit, dass menschliche Schicksale, vor allem von Prominenten vorgetragen, auf weite Teile der Bevölkerung offenbar überzeugender wirken als wissenschaftliche Studien. Das ist zurzeit etwa bei den Auseinandersetzungen um die flächendeckende PSA-Untersuchung oder um die Masernimpfung zu beobachten. (Narrativ ist von lateinisch narrare=„erzählen“ abgeleitet)

Die flächendeckenden PSA-Tests an gesunden Männern werden mittlerweile nicht mehr empfohlen. Dennoch haben prominenten Männer, die in Talkshows und bei anderen sich bietenden Gelegenheiten erzählen, dass PSA ihnen das Leben gerettet habe, großen Einfluss. Viele Mediziner sehen das sehr kritisch, denn diese Erzählungen hinterlassen bei vielen Männern stärkeren Eindruck als neutrale Aufklärungsgespräche.

Ein anderes aktuelles Beispiel ist die Masernimpfung.
Die Masernimpfung wird von Medizinern und der WHO propagiert, da Masern mitnichten eine harmlose Kinderkrankheit sind, sondern zu schweren, ja sogar letalen Komplikationen führen können.
Prominente Impfgegner haben leider für viele andere Menschen eine große Vorbildfunktion, selbst wenn sie erwiesenermaßen die Unwahrheit erzählen. Dabei hat sich die US- Schauspielerin Jenny McCarthy besonders hervorgetan, die behauptet, eine Masern-Mumps-Röteln-Impfung habe bei ihrem Kind Autismus ausgelöst. Der Zusammenhang zwischen Impfung und Autismus gilt zwar als widerlegt, aber der Mythos lebt weiter.
Obwohl die Behauptung wissenschaftlich nicht haltbar ist, hat sie damit viele Eltern gegen die Masern-Impfung eingenommen. Die von der WHO angestrebte Ausrottung der Masern ist damit in weite Ferne gerückt.
In Deutschland nimmt die Anzahl der Masern-Fälle zurzeit aufgrund der Impfverweigerung epidemieartig zu, Ärzte und Gesundheitsbehörden sind alarmiert.

Unter Wissenschaftlern mag es ausreichen, Erkenntnisse möglichst sachlich und emotionslos mitzuteilen oder auszutauschen. Bei Nicht-Wissenschaftlern ist es sinnvoller, Informationen eher narrativ, also als kleine Geschichte zu verpacken, damit der Patient sich die Information besser merken und sie besser aufnehmen kann. Narratives Erzählen bleibt bei Patienten besser im Gedächtnis als die neutrale, emotionslose Sprache der Wissenschaft. Das ist eine wichtige Erkenntnis für werdende Ärzte: “Wissenschaftliche Artikel sind von sich aus leidenschaftslos und erzählen keine Geschichte”, schreiben Meisel und Karlawish in ihrem Kommentar “Wir sollten Geschichten dazu nutzen, Patienten verständlich zu machen, was wissenschaftlich bewiesen ist und was nicht.” Meisel und Karlawish betonen, dass diese Form der narrativen Informationsübermittlung kein Gegensatz zur evidenzbasierten Medizin sei, sondern sie ergänzt und zum Wohl des Patienten dient.

Eine solche narrative Gesundheitsaufklärung zur Masernimpfung war am vergangenen Wochenende auch in der deutschen Tagesschau zu sehen: Zur besten Sendezeit erzählte ein informativer Film die schreckliche Geschichte der kleinen Angelina, die nicht gegen Masern geimpft war und sich dann mit Masern angesteckt hatte. Als Spätfolge bekam sie eine subakute sklerosierende Panenzephalitis, kurz SSPE, da es keine Therapie gibt, wird das kleine Mädchen sicher daran sterben. Filmaufnahmen des vorher gesund umher springenden Mädchens, das jetzt ein Pflegefall ist und ein Interview mit der verzweifelten Mutter, die sich selbst die Schuld am Schicksal ihres Kindes gibt, lassen keinen Zweifel an der dramatischen Situation aufkommen und brennen sich in das Gedächtnis ein.
Hier finden Sie den hervorragenden Film, der vom BR produziert wurde, mit zahlreichen zusätzlichen Informationen und einem link zum BERUFSVERBAND DER KINDER- UND JUGENDÄRZTE e. V.

Bettina Wurche

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