Mal wieder ein Zeitungsbeitrag zum Anatomie-Kurs.
In dem SPON-Artikel Medizinstudenten im Präp-Kurs: “Menschliche Körper - absolut faszinierend” und den anschließenden Kommentaren fehlt – mal wieder - keines der gängigen platten Vorurteile.
Mal wieder die üblichen Vokabeln von „an Leichen schnibbeln“ über „moralisch bedenklich“ bis zu „altmodische Form der Ausbildung“.
Angeblich gibt es derzeit eine heiße Diskussion um die Abschaffung der anatomischen Präparationskurse.
Tatsächlich? Davon ist hier am Fachbereich Medizin der Goethe-Universität in Frankfurt nicht viel zu spüren.
„Es gibt gute Gründe dafür, den hier abgebildeten Dresdner Studenten und allen anderen Nachwuchsmedizinern die Ausbildung am Präpariertisch zukünftig zu verwehren.“
Welche denn?
„Längst gibt es gestochen scharfes Filmmaterial aus dem Inneren des menschlichen Körpers und Computerprogramme, mit denen sich die Organe am Bildschirm erforschen lassen. Man braucht keine mit Formalin konservierten Leichen mehr fürs Medizinstudium. “Präp-Kurse” seien ein Relikt aus dem Mittelalter, argumentieren die Kritiker.“
Hier hätte die Autorin vielleicht mal einen Anatomie-Lehrenden zu einigen Fakten befragen sollen, statt einfach den x-ten Aufguss halbgarer Mythen noch einmal aufzukochen.
Die „kritischen Behauptungen“ gehören jedenfalls kritisch hinterfragt.
Präparierkurse sind mitnichten ein Relikt aus dem Mittelalter, damals war so etwas nämlich absolut verboten. Viel später erst, als die Menschen „aufgeklärt“ waren, fing man an, die menschliche Anatomie wieder gezielt zu erforschen, wie zuletzt in der ebenfalls aufgeklärten Antike.
Außerdem hat sich der Anatomieunterricht am menschlichen Körper über die Jahre hinweg beträchtlich verändert.
Auch die moralischen Bedenken wären schnell ausgeräumt: Die Körperspender haben zu Lebzeiten eingewilligt, in genau diesem Kurs ihren Körper für die Ausbildung der Medizinstudierenden zur Verfügung zu stellen. Die Lehrenden und Studierenden begegnen den Körperspendern mit Respekt und Dankbarkeit, nicht zuletzt bei der letztendlichen feierlichen Beisetzung im Kreise der Angehörigen, Studierenden und Lehrenden.
Neben dem wenig gehaltvollen Beitrag und dem Bild eines ziemlich reißerisch inszenierten präparierten Körperspenders sind die Zitate der Studierenden ein echter Lichtblick:
Sie sprechen sich für die Beibehaltung des Präparierkurses aus und sprechen nicht im Geringsten respektlos über Kurs und Körper.
Was sagen unsere Frankfurter Dozenten und Studierenden dazu?
„Man muss den Körper, die Organe und Gewebe anfassen können! Das Arbeiten am echten dreidimensionalen Körper ist eine wichtige Vorbereitung für spätere OPs. Das kann man nicht an einem Computer-Programm“ meint Frau Hellwig (10. Semester) dazu. Herr Shayegi (6. Semester) ergänzt: „Die Lehrbücher enthalten nicht alle Variationen, die echten Körper zeigen erst die individuellen Unterschiede auf. Theorie und Praxis weisen beträchtliche Unterschiede auf.“. Beide können sich eine Medizin-Ausbildung ohne die Sektionskurse nicht vorstellen und halten es für einen essentiell wichtigen Bestandteil.
Der erfahrene Anatomie-Dozent Herr PD Dr. Wicht sagt dazu: „Nur das Präparieren eines echten Körpers kann das Gefühl der Individualität und Variabilität vermitteln. Das beginnt bei stark oder schwach ausgebildeten Muskeln. Nur, wenn man de facto anatomisch arbeitet, kann man von den übergeordneten theoretischen Konzepten auf die tatsächliche Situation im Körper schließen. Erst dadurch kann die Dinghaftigkeit des menschlichen Körpers erfasst werden.“
Außerdem ist das Arbeiten an einem echten Körper auch eine mentale Vorbereitung für das Arbeiten an echten Patienten. Selbst wenn ein Computerprogramm eine bestmögliche Simulation anbietet – beim Schneiden in echtes Gewebe muss oft auch zusätzlich noch eine psychische Barriere überwunden werden. Im Sektionskurs geht es neben dem Erlernen der Anatomie auch um den professionellen Umgang mit dieser für viele Studierende potentiell belastenden Situation.
Die Erfahrung aus den Kursen zeigt: Die Studierenden setzen sich mit dieser Situation auseinander und meistern sie schließlich.
Ein wichtiger Schritt auf dem Weg zum Arzt, zur Ärztin.
Fazit:
Präparierkurse sind nicht nur moralisch vertretbar, sondern auch in der modernen Medizin-Ausbildung weiterhin unbedingt notwendig.
Sie sind weder veraltet oder noch moralisch verwerflich, sondern eine wichtige Vorbereitung auf die spätere ärztliche Tätigkeit.
Zum Weiterlesen:
„StarterKit: Was erwartet mich in der Anatomie?“
(Dieser Beitrag ist erstmals am 24.07.2013 erschienen. Wegen seiner Bedeutung um den Anatomieunterricht haben wir ihn im StarterKit wiederholt. – Die Red.)
14/10/2013 @ 14:47
Der Artikel scheint mir sehr faul recherchiert zu sein, lauter Behauptungen, die nicht einmal belegt werden.
Was für welche Computerprogramme gemeint sind wird nicht genannt und auch nicht in welchen Umfang sie für das Lernen für die Studenten genutzt werden könnten.
Außerdem hätte man auch andere Sichtweisen miteinbeziehen sollen, wie zum Beispiel die Betroffenen selbst.
Was sagen die Menschen, die sich dazu entschlossen haben, ihren Körper zu spenden dazu?
Was sagen die Angehörigen?
14/10/2013 @ 17:45
Wir waren von dem SPON-Beitrag auch nicht begeistert.
Wir haben zu dem Thema schon ziemlich viele Beiträge gebracht, z. B. unter dem Stichwort “Körperspender.
Allerdings hat puls. bisher keine Interviews mit Körperspendern oder deren Angehörigen durchgeführt,
obwohl wir regelmäßig an der Beisetzung der Körperspender teilnehmen. Ein Interview in dieser Situation wäre mir persönlich zu aufdringlich erschienen. Die Angehörigen sind mit ihrer Trauer beschäftigt und sollten darin auch nicht gestört werden – sie anzusprechen, würden gegen meine persönlichen journalistischen und ethischen Grundsätze verstoßen.
Nur der Prosektor (Herr PD Dr. Schomerus) hat direkten Kontakt zu den potentiellen Körperspendern und ihren Angehörigen. Diese Gespräche sind natürlich vertraulich.
Ich kann aber gern einen Beitrag mit weiteren Hintergrundinformationen zu diesem Thema schreiben, unter strikter Wahrung der Persönlichkeitsrechte.
Aus meiner persönlichen Erfahrung kann ich nur sagen, dass die Hinterbliebenen der Körperspender sich auf der Beisetzung gut aufgehoben fühlen, denn die Studierenden bedanken sich mit einer liebevoll gestalteten Feier.