Artikelformat

Vorgestellt: Berta Scharrer

„Nach wem ist der „Ernst- und Berta-Scharrer-Hörsaal“ im Anatomischen Institut benannt?“

„Was sollen die vor dem Hörsaal von der Decke herabhängenden blauen Objekte darstellen?“

„Und was hat das alles mit meinem Medizinstudium zu tun?“

Haben Sie sich schon einmal diese Fragen gestellt?
Dann lesen Sie hier weiter…

Wer waren Berta und Ernst Scharrer?

Ernst und Berta Scharrer sind die Entdecker der Endokrinologie.
Und direkt dafür verantwortlich, dass heute alle Studierenden das Hypothalamus-Hypophyse-hypothalamisch-hypophysäres-tuberoinfundibuläre-System lernen müssen.

Berta Scharrer (geb. Vogel) und ihr Ehemann Ernst leisteten Pionierarbeit in der Neuroendrokrinologie.
Auf ihren Forschungen basieren die Entdeckung der sekretorischen, hormonproduzierenden Nervenzelle und die Formulierung eines biologischen Konzeptes zur Neurosekretion.
Die Neuroendokrinologie beschäftigt sich mit der Verknüpfung des Hormonsystems mit dem Nervensystem.

„In Würdigung der außerordentlichen Bedeutung des wissenschaftlichen Lebenswerks von Ernst und Berta Scharrer hat der Fachbereich Medizin der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main 1998 beschlossen, den Hörsaal in der Dr. Senckenbergischen Anatomie nach diesen beiden bedeutenden Forschern zu benennen.“ (http://www.med.uni-frankfurt.de/institut/zmorph/geschich.html).

Skulptur Neuron (Auschnitt)Die blauen Skulpturen sind Neuronen:

Im linken Treppenhaus hängt ein Neuron mit stark abstrahiertem Axon.

Im rechten Treppenhaus hängt ein Neuron mit einem perforierten Axon: Die Löcher symbolisieren den vesikulären Transport. Diese Skulptur illustriert die wesentlichen Inhalte der Scharrer-Forschungsarbeit.

Im Folgenden wird schwerpunktmäßig Berta Scharrer vorgestellt.

Berta Scharrer

Berta Vogel wurde am 01.12.1906 in München geboren. Sie studierte an der Ludwig Maximilian Universität München und promovierte 1930 bei Professor Karl von Frisch. Karl von Frisch war Verhaltensforscher mit dem Arbeitsschwerpunkt Bienen, der 1973 dafür mit dem Nobelpreisgeehrt wurde.

In dieser Arbeitsgruppe lernte sie ihren späteren Ehemann kennen: Ernst Scharrer.

Aufgrund der Diskriminierung von Frauen in Forschung und Lehre und aus Angst vor dem Vorwurf der Vetternwirtschaft erhielt in den folgenden Jahrzehnten meistens Ernst Scharrer die Anstellung und Berta Scharrer arbeitete dann unentgeltlich oder für ein geringes Gehalt.

Scharrer und Scharrer am Edinger-Institut der Goethe-Universität

Zwischen 1933 und 1937 arbeiteten die Scharrers am Neurologischen Institut (Edinger-Institut) in Frankfurt am Main und entwickelten entscheidende Grundlagen für ihr Konzept der Neuroendrokrinologie. Ernst Scharrer erforschte die Nervenzellen von Wirbeltieren, vor allem von Fischen, und Berta Scharrer die der Wirbellosen. Aus ihren umfassenden Arbeiten an Wirbeltieren und Wirbellosen konnte das Forscherpaar schließlich ein umfassendes Forschungskonzept erstellen: 1937 legten sie die erste Fassung ihrer Gesamtkonzeption neurosekretorischer Phänomene vor.

Ihre Arbeitshypothese besagte, dass Nervenzellen nicht nur Schaltstellen für elektrische Signale sind, sondern auch Botenstoffe in die Blutbahn freisetzen. Ein umfassender Aufsatz definierte die Mittlerrolle, die sekretorisch aktive Nervenzellen bei der wechselseitigen Informationsübertragung zwischen dem Nervensystem auf der einen und dem endokrinen System auf der anderen Seite spielen.

Die Vorstellung vom Gehirn als einer großen Drüse, die Hormone ausschüttet und dadurch verschiedene Körperfunktionen steuert, war für die damalige Fachwelt zu revolutionär und stieß daher zunächst auf Widerstand.
Scharrers ließen sich dadurch nicht beirren und arbeiteten einfach weiter an diesen spektakulären neuen Erkenntnissen.

„Das Scharrersche Konzept der Neurosekretion hat gemeinsam mit der Entdeckung der neurosekretorischen Bahnverbindung zwischen Hypothalamus und Neurohypophyse durch den Kieler Anatomen Wolfgang Bargmann zur Entstehung einer neuen biomedizinischen Disziplin geführt, der Neuroendokrinologie. Diese Disziplin hat […] sowohl die Hirnforschung als auch die Endokrinologie entscheidend beeinflusst.“ (http://www.med.uni-frankfurt.de/institut/zmorph/geschich.html).

Emigration in die USA

1937 verließen die Scharrers aufgrund der für sie unerträglich gewordenen politischen Lage Deutschland und emigrierten in die USA. Ernst Scharrer bekam bald eine Stelle am Rockefeller Institute for Medical Research. Bertha Scharrer hingegen hatte keine Einkünfte und Forschungsgelder zur Verfügung und forschte darum an besonders preiswerten Organismen weiter: zunächst an der Fruchtfliege Drosophila, später an Schaben. Vor allem die große und langsame Madeira-Schabe Leucophaea maderae war hervorragend für endokrinologische Studien und mikroanatomische Eingriffe am Nervensystem geeignet. Die Wissenschaftlerin legte sich eine Kolonie Madeira-Schaben zu, die sie künftig auch bei jedem Umzug begleitete.

Spätere Karriere

1965 kam Ernst Scharrer bei einem Badeunfall ums Leben. Seine Witwe musste ihr Leben und ihre Karriere allein fortsetzen. Sie forschte weiterhin vor allem an Insekten und publizierte zahlreiche Arbeiten zum Nervensystem dieser Tiergruppe. Daneben übernahm sie u. a. auch die Leitung des Instituts und erhielt erstmals in ihrem Leben ein volles Gehalt. Bis 5 Monate vor ihrem Tod arbeitete sie am Albert Einstein College of Medicine.

Ihr umfangreiches Wissen und das Vermächtnis ihres Ehemannes ermöglichten ihr die Entwicklung neuer Theorien zur Evolution des Hormon- und Nervensystems: Aufgrund des Vorkommens neurosekretorischer Zellen, der Ähnlichkeit von Neuropeptiden mit Hormonen sowie von Nervenzellen zu Drüsenzellen bei phylogenetisch sehr unterschiedlichen Tiergruppen kam sie zu dem Schluss, dass sekretorische Neuronen bereits sehr früh in der Evolution entstanden sein müssen. Sie meinte, dass sich aus den basalen Mechanismen intrazellulärer Kommunikation das heutige hoch spezialisierte endokrine und Nervensystem entwickelt haben müsse.

Für ihre lebenslange Forschungsarbeit bekam sie zahlreiche Ehrentitel und Auszeichnungen, z. B. die höchste Auszeichnung der USA für Wissenschaftler, die National Medal of Science.

National Academy Press: „Biographical Memoirs”: 741998; pp288 – 308; ISBN-10: 0309060869; ISBN-13: 978-0309060868

http://www.nap.edu/openbook.php?record_id=6201&page=288

Berta Scharrer wurde für ihre Verdienste in der Forschung an Wirbellosen geehrt, indem  eine Schabenart nach ihr benannt wurde: die in Australasia vorkommende Schabenart Escala scharrerae.

Den beiden Pionieren der Endokrinologie zu Ehren vergibt die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie den Ernst-und-Berta-Scharrer-Preis.

bw

Kommentare sind geschlossen.