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Os prämaxillare – der Zwischenkieferknochen (1): Von Walen und Menschen

„Weißt Du eigentlich, wo Dein Os prämaxillare ist?“ fragte mich mein Kollege Herr Dr. Wicht vor einigen Tagen.
„Ja, klar“ sagte ich und legte automatisch den Zeigefinder auf die Stelle zwischen den Schneidezähnen und der Nase.
„Ach“ staunte Kollege Wicht, „unsere Studierenden wissen das nicht immer.“ und guckte mich fragend an.
Das ist sehr einfach zu erklären: Ich habe mit großen Zahnwal-Schädeln gearbeitet, mit Schnabelwalen. Schnabelwale (Ziphiidae) haben ihren Namen von ihren langen Kiefern, sie sehen aus wie zu groß geratene Delphine – mit bis zu 12 Metern Körperlänge. Der Schnabel besteht im Oberkiefer aus Maxillare und Prämaxillare, das Prämaxillare ist lang gezogen und auch bei erwachsenen Tieren noch deutlich sichtbar. Bei „meinem“  Lieblings-Schnabelwal, dem  Nördlichen Entenwal  (Hyperoodon ampullatus,) ist der Schädel über 1,30 (bei Weibchen) 1,60 Meter, das Prämaxillare wird dann über 80 Zentimeter lang.
„Da solltest Du mal was ´drüber schreiben…“ meinte Herr Dr. Wicht.

Das Os prämaxillare (=Zwischenkieferbein)
Also: Wissen Sie eigentlich, wo Ihr Os prämaxillare ist?
Es ist das Os incisivum oder Zwischenbein.
Direkt über und hinter ihren Schneidezähnen im Oberkiefer, da sitzt es. Es ist ein Teil des Gaumens.
Beim Menschen klein und unscheinbar.
Es grenzt an das Os nasale (Nasenbein, Nasale) und das Os maxillare (Oberkieferbein, Maxillare) und die Cartilago vomeronasalis.
Oder vielmehr: sie. Schließlich handelt es sich um einen paarigen Knochen.
Ein paariger Deckknochen des Gesichtsschädels der Wirbeltiere.

Das Os prämaxillare blickt auf eine lange evolutive Geschichte zurück:Acanthodes (Urhai)-Kiefer Das paarige Prämaxillare (Zoologen und Paläontologen sparen sich das „Os“) entstand bei den ursprünglichen Knochenfischen (Osteichthyes) aus mehreren bezahnten Mundrandknochen und ergänzte den  „alten“ Oberkiefer der Ur-Haie.  Das ist jetzt etwas mehr als 350 Millionen Jahre her. Andere Teile des Urhai-Unterkiefers befinden sich heute in Ihrem Ohr. Aber wie das Quadratum zum Incus wurde,  das ist eine andere Geschichte.

Seitdem ist ziemlich viel passiert. Zum Beispiel Amphibien und Reptilien, in deren Schädeln gewaltige Umstrukturierungen abliefen. Eine Gruppe der Reptilien ging einen ganz eigenen Weg und legte sich ein primäres Schädelfenster in der Schläfenregion hinter der Augenhöhle zu: Die Synapsida oder Säugetierähnlichen Reptilien. Irgendwann im tiefen Erdmittelalter, vor etwa 200 Millionen Jahren (Unter-Jura), entstanden aus ihnen die ersten säugetierartigen Reptilien und dann die ersten Säugetiere. Die frühen Säugetiere waren also Zeitgenossen der Dinosaurier. Der Dreh- und Angelpunkt in der Säugetierentwicklung ist das sekundäre Kiefergelenk.

Prämaxillare der Säugetiere = Os incisivum der Menschen
Doch zurück zum Prämaxillare…
Bei den Säugetieren bildet das Zwischenkieferbein gemeinsam mit dem Maxillare (=Os maxillare) den zahntragenden Oberkiefer. Bei den meisten Säugern bleibt die Sutura incisiva zwischen Prämaxillare und Maxillare lange sichtbar. Beim Menschen allerdings verschmelzen beide Knochen schon vor der Geburt, daher wird das Os prämaxillare beim Erwachsenen nicht als eigener Knochen aufgeführt.  Diese Reduzierung  hängt damit zusammen, dass die vordere Gesichtsregion beim Menschen stark verkürzt ist.
Das Os prämaxillare trägt die Schneidezähne.

Am Zwischenkieferbein werden ein Körper (Corpus) und drei Fortsätze unterschieden: Processus alveolaris (Zahnfachfortsatz), Processus nasalis (Nasenfortsatz) und Processus palatinus. Der Ductus incisivus („Zwischenkiefergang“) ist ein Verbindungsgang zwischen Nasen- und Mundhöhle im Bereich des Zwischenkieferbeins (Os incisivum). Bei einigen Säugetieren ist der Ductus incisivus paarig ausgebildet und mit Schleimhaut ausgekleidet. Der Gang mündet auf einer kleinen Erhebung (Papilla incisiva) hinter den Schneidezähnen (Incisivi) in der Mundhöhle.

Fehlbildung Lippenspalte
Die Lippenspalte oder Lippen-Kiefer-Spalte kann, wie auch viele andere Fehlbildungen, mit einem Blick in die Evolution erklärt werden.
Beim Menschen kann dieser kleine Gesichtsknochen Teil eines Problems werden. Manchmal wird die Sutur nicht richtig geschlossen: Dann kommt es zu Fehlbildungen wie Lippenspalten oder Lippen-Kiefer-Spalten.  Diese Spalte erscheint zwischen Os prämaxillare und Os maxillare. Darum sitzt sie niemals mittig, sondern immer leicht rechts oder links der Mitte. Diese Spalten  können nur rechts, nur links, oder beidseitig auftreten.
Die sehr frühe Verschmelzung der paarigen Zwischenkieferbeine beim Menschen dürfte die Ursache dafür sein, dass derartige Fehlbildungen nicht auch mittig auftreten.

Os prämaxillare – ganz groß
Das Os prämaxillare kann aber auch ganz anders: Bei Walen (Cetacea) kommt es groß ´raus.
Die Nasenöffnung ist bei den Walen zum „Blasloch“ geworden und liegt auf dem Scheitel des Hirnschädels. Auch die knöcherne Nasenöffnung und die Nasalia sind auf dem Scheitel positioniert. Dementsprechend reichen die Maxillaria und Prämaxillaria von der Schnauzenspitze bis zum Blasloch (= Nasenloch) und sind so lang wie der ganze Schnabel bzw. Oberkiefer des Wals.

Ein Pottwal (Physeter macrocephalus) ist ja insgesamt etwas größer und hat, wie der Name schonLivyatan melvillei sagt, auch einen etwas größeren Kopf. Ein Bulle kann immerhin 18 Meter lang werden, der Kopf macht dabei  fast ein Drittel der Körperlänge aus. Bei einem 6 Meter langen Schädel ist das Prämaxillare dann über  4  Meter  lang, es liegt an zentraler Stelle im Pottwal-Oberkiefer.
Die Abbildung zeigt den Schädel  des fossilen Pottwales Leviathan melvillei (mittlerweile umbenannt in Livyatan melvillei, ca 12 bis 13 Millionen Jahre alt, Peru Pisco-Formation) von dorsal. Das Prämaxillare (Pmx) ist eingezeichnet, als Maßstab ist daneben ein ausgewachsenes Exemplar von Homo sapiens abgebildet.
Die anderen Zahnwale, also etwa Delphine, Schwertwale, Weißwale und Flussdelphine sind insgesamt kleiner, dementsprechend sind auch ihre Prämaxillaria kleiner.
Aber immer noch unübersehbar.
Wenn Sie also mal wieder nach Ihrem Os prämaxillare gefragt werden: Denken Sie an den Wal!

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