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Interview „Mit Sicherheit verliebt“

Ilja Dubinski, Theresa Richter, Thomas Brehm von der studentischen AG „Mit Sicherheit verliebt“ haben im „PULS.“-Interview ihre Ziele und Arbeitsweise vorgestellt.
„Mit Sicherheit verliebt“ ist ein internationales Projekt zur sexuellen Aufklärung und Prävention, dabei ist HIV natürlich ein Themenschwerpunkt.

„PULS.“-Interview mit Theresa Richter, Thomas Brehm und Ilja Dubinski.

„PULS.“: „Sie sind in der AG „Mit Sicherheit verliebt“ aktiv. Was genau machen Sie in diesem Projekt?“
M S V: „“Mit Sicherheit verliebt“ hat das Ziel „Schutz durch Aufklärung“. Dabei geht es um HIV und andere übertragbare Krankheiten, aber auch generell um Sexualität, das Verhältnis zum Körper.
Das Projekt kommt ursprünglich aus Schweden, ist seit einigen Jahren auch in Deutschland angekommen, wir in Frankfurt sind seit dem letzten Jahr dabei. Es wird von Studenten durchgeführt, in Frankfurt nur von Medizin- und Zahnmedizin-Studierenden, in anderen Städten sind auch andere Fakultäten beteiligt. Das Projekt läuft bei uns unter dem Dachverband des bvmd (Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland e.V.). Der bvmd gibt uns Unterstützung in Form von Informationsmaterial, Workshops und auch finanziell. Im letzten Oktober waren dann einige von uns beim Workshop in Heidelberg, das war die Initialzündung für uns in Frankfurt. Im Workshop wurde gezeigt, wie ein Schulbesuch ablaufen sollte. Diese Schulung ist die Voraussetzung, um überhaupt in dem Projekt mitarbeiten zu können. Aber das Expertenwissen bekommt man dadurch noch nicht, da mussten wir noch selbst aktiv werden…“

„PULS.“: „ Welche Zielgruppe haben Sie und wie erreichen Sie sie?”
M S V: „Unsere Zielgruppe sind Schulklassen von weiterführenden Schulen: Gymnasium, Realschule, Förderschule, Berufsschulen, …wir gehen in alle Schulformen. Die jüngsten waren bisher Sechstklässler. Wir schreiben die Schulen aktiv an. Das war zunächst etwas mühsam, aber wenn wir dann in einer Klasse einer Schule waren, bekommen wir im Anschluss viele Anfragen von den anderen Klassen dort. Ein Zeitungsartikel der Frankfurter Rundschau hatte uns dann auch Anfragen gebracht.“

„PULS.“: „Wie haben Sie sich dann weiter auf die Schulbesuche vorbereitet?“
M S V: „Wir haben in Frankfurt noch weitere Workshops organisiert, um das Expertenwissen zu bekommen. Dazu haben wir ganz unterschiedliche externe Experten eingeladen: Eine Gynäkologin und einen Gynäkologen, eine Religionswissenschaftlerin, die hervorragend über Religion und Sexualität gesprochen hat und HIV-Positive. Außerdem hatten wir auch Veranstaltungen zu Gender, Intersexualität, Rollenbildern und ähnlichen verwandten Themen. Die Dozenten waren wirklich klasse, wir haben da so viel gelernt.
Dadurch haben wir ein enormes Fachwissen bekommen, aber das kann man so in der Schule nicht anwenden. Darum haben wir in Rollenspielen entwickelt: „Wie breche ich dieses Wissen für die Schüler herunter? Was kommt an? Wie vermittle ich das?”
Außerdem haben wir natürlich auch praktisches Material wie den Aufklärungskoffer mit vielen Utensilien. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung hat uns jetzt auch noch Holzpenisse zur Verfügung gestellt. Davor hatten wir Bananen und Dildos dafür benutzt. Außerdem haben wir seit Neuestem zusätzlich noch große Anatomie-Modelle, die sind auch klasse.
Manchmal kommen sehr spezielle Fragen, die wir nicht beantworten können. In solchen Fällen können wir dann etwa Herrn Dr. Königs aus der Kinderklinik  fragen, der ein absoluter Experte für HIV bei Kindern ist.“

„PULS.“: „Bereiten Sie die einzelnen Schulbesuche auch noch mit den Lehrern vor?“
M S V: „Ja, wir sprechen vorher noch einmal ausführlich mit den Lehrern. Die haben dann manchmal noch besondere Themenwünsche, die wir in das Programm mit aufnehmen. Etwas das Thema Zwangsverheiratung: Eine Klassenlehrerin wusste, dass bereits zwei ihrer Schülerinnen versprochen waren. Bei einer anderen Klasse hatte die Lehrerin befürchtet, dass zwei Schülerinnen, die sehr streng muslimisch erzogen waren und schon am Sexualkundeunterricht nicht teilgenommen hatten, auch das Gespräch mit uns verweigern würden. Da hatten wir eine muslimische Kommilitonin dabei, die auch ein Kopftuch trägt, sie hätte die beiden Schülerinnen dann besonders betreut.
Diese multikulturellen Unterschiede muss man kennen und damit umgehen können, wir treffen ja auch etwa in der Pädiatrie darauf, dass Schamgefühl und Körpergefühl sehr unterschiedlich entwickelt sind.“

„PULS.“: „Wie läuft so ein Schulbesuch dann ab?“
M. S. V.: „Zuerst legen wir die Spielregeln fest: Es ist kein Lehrer anwesend. Es gibt keine Note. Alles bleibt unter uns. Niemand wird ausgelacht. HIV ist in der Veranstaltung das zentrale Thema, es geht aber insgesamt um sehr viel mehr: verschiedene Formen der Sexualität, Rollenbilder, Verhütung und Schwangerschaft und Pornographie.
Wie beginnen mit einem Aufwärmspiel. Dann machen wir viele Spiele zum Thema HIV, etwa zur Ansteckungsgefahr. Zum Beispiel haben wir Karten mit Comics ´drauf wie Sex – vaginal, oral und anal -, Schwangerschaft, Bluttransfusion und andere Dinge. Wir sprechen die dann im Einzelnen durch, was davon wirklich ein HIV-Ansteckungsrisiko ist.
Außerdem gibt es viele Rollenspiele, die die Schüler dann selbst durchführen. Da werden dann bestimmte Situationen durchgespielt: Etwa, dass ein homosexueller Junge mit seinem Vater über seine Homosexualität spricht. Oder ein Mädchen ihren Eltern erzählt, dass sie schwanger ist.
Dann werden Jungen und Mädchen aufgeteilt: Die Mädchen sprechen dann mit Studentinnen, die Jungen mit Studenten und dann kann wirklich alles gefragt werden, was sie schon immer über das andere Geschlecht wissen wollten. Durch die Geschlechtertrennung trauen sie sich dann eher, offen zu sprechen. Das klappt in einer gemischten Gruppe leider so nicht. Zum Abschluss werden die Fragen der Schüler beantwortet, die sie in die Black Box geworfen haben.
Trotz unserer Vorbereitung auf Altersgruppe und Schulform sehen wir dann erst in der Klasse, wie es mit den jeweiligen Kindern läuft und wie wir das Programm im Detail entwickeln.“

„PULS.“: „Welche Erfahrungen machen Sie in den Klassen: Auf welchem Stand sind die Kinder und wie gesprächsbereit sind sie?“
M. S. V.: „Ein zentraler Punkt ist: Die Schüler können uns alles fragen, sie sehen uns nie wieder. Die Lehrer hingegen sehen sie am nächsten Tag gleich wieder, da bleiben manche Fragen eher ungefragt. Außerdem sind wir noch relativ jung, der geringere Altersunterschied ist ein Vorteil im offenen Gespräch. Durch unser Alter und unsere Distanz zur Schule trauen sich die Kinder und Jugendlichen, uns auch sehr intime Details zu fragen oder selbst zu erzählen.
Viele Kinder und Jugendliche haben ihr Wissen offenbar nur aus Pornofilmen: Die denken dann, dass Sex immer 25 Minute dauert, mindesten 5 Stellungen durchgeturnt werden müssen, das Ganze an verschiedenen interessanten Orten wie etwa im Fahrstuhl stattfindet und ähnliches. Und immer ohne Kondom. Oder sie kennen unglaublich viele verschiedene Ausdrücke für die Geschlechtsorgane, viel mehr, als uns je einfallen würden.
Aber das Basiswissen fehlt: Ein 16-jähriger Junge war total erschreckt, dass Mädchen einmal im Monat ihre Periode bekommen und dann bluten. Der ist mit dieser Information überhaupt nicht zurecht gekommen. Ein Mädchen hatte Angst, dass beim Geschlechtsverkehr das Becken zerspringt. Oft ist auch nicht bekannt, wie viele Ausgänge eine Frau hat. Oder dass Kinder Begriffe wie „Gebärmutter“ oder „Eierstock“ überhaupt nicht kennen. Dieses Wissensdefizit geht über die Schulformen hinweg.
Wir wissen nicht, welche Fakten bei den Kindern genau hängen bleiben. Aber wenn sie sich daran erinnern „1. Mit Kondom, 2. Miteinander reden“, dann haben wir schon ganz viel geschafft.“

„PULS.“: „Wie sind Sie auf diese Idee gekommen, bei „Mit Sicherheit verliebt mitzuarbeiten? Das ist ja eine besonders persönliche Entscheidung, schließlich sprechen Sie mit fremden Kindern und Jugendlichen über sehr intime Dinge.“
I. D.: „Präventionsarbeit ist wichtig! Sie gehört genau so zur Medizin wie Diagnostik und Therapie, wird aber leider oft vernachlässigt. Darum ist dieses Projekt besonders wichtig.“
T R.: „Ich fand das Projekt so toll! Mein eigener Aufklärungsunterricht damals in der Schule war so schlecht, das wollte ich besser machen. Wir hatten einen älteren Lehrer und mochten mit ihm eigentlich gar nicht darüber reden, zumal wir ihn ja auch am nächsten Tag wieder gesehen haben. Das war uns unangenehm. Und dann haben wir ja gerade in Frankfurt eine überdurchschnittlich hohe AIDS-Rate, vor allem wegen der vielen Drogenabhängigen. Mir war es wichtig, dieses Projekt nach Frankfurt zu holen.“
T. B.: „Und dann ist es ja auch für einen guten Zweck: Viele Kinder sprechen hier zum ersten Mal über Sexualität. Wir können mit unserer Veranstaltung eine Offenheit für Gespräche über Sexualität bei den Kindern erreichen, etwa über Homosexualität. Das ist eine Initiativzündung für viele junge Menschen.“

„PULS.“: „Was „bringt“ das Engagement bei „Mit Sicherheit verliebt“ für Sie persönlich?“
T. R.: „Ich habe über das Thema extrem viel gelernt, was ich vorher nicht wusste. Der Zuwachs an Fachwissen ist immens. Die Mitarbeit an ehrenamtlichen Projekten finde ich natürlich auch wichtig. Und: es macht wirklich viel Spaß!“
I. D.: „Mir bringt das Projekt sehr viel, weil mich die Pädiatrie besonders interessiert. Und so komme ich jetzt schon im Studium intensiv in Kontakt mit Kindern und Jugendlichen und erfahre viel über ihre Gedankenwelt und ihre Vorstellungen.“
T. B.: „Es macht extrem viel Spaß! Wir sind ein gutes Team und bekommen so viel positives Feedback von den Schülern und Lehrern! Und dann ist es ja auch für einen guten Zweck.“
T. R., I. D., T. B.: Wir hoffen, dass sich noch mehr und vor allem jüngere Studierende bei uns melden, die auch gern in diesem Projekt mitarbeiten möchten. „Mit Sicherheit verliebt“ läuft jetzt ein Jahr, die Grundsteine sind gelegt, alle neuen müssten jetzt nur noch ins laufende Projekt einsteigen und sind uns herzlich willkommen! Der nächste Workshop in Frankfurt ist am 05./06. November 2012.“

Hier finden Sie weitere Informationen über das studentische Projekt „Mit Sicherheit verliebt“.

„PULS.“ dankt Theresa Richter, Thomas Brehm und Ilja Dubinski für das engagierte und unterhaltsame Interview.
Das Interview führte „PULS.“-Redakteurin Bettina Wurche.

Bettina Wurche

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