„New human body part discovered“ und „Neuer Körperteil im Knie entdeckt“ jubelte die Presse vor einigen Tagen.
So unmöglich es sich anhört:
Dr. Claes und Dr. Vereecke , zwei Chirurgen des Universitätsklinikums Leuven, haben einen bisher nicht benannten Teil des menschlichen Körpers beschrieben!
Es handelt sich um ein Ligament im Knie: Das anterolaterale Ligament (ALL).
(Claes S, Vereecke E. et al: Anatomy of the anterolateral ligament of the knee. J Anat. 2013 Oct; 223(4):321-8. doi: 10.1111/joa.12087. Epub 2013 Aug 1.
Was steckt dahinter?
Welche Funktion hat die Struktur und wo ist sie genau positioniert?
puls. hat einen Anatomie-Experten gefragt: Herrn PD Dr. Wicht:
„Das Band liegt an der lateralen, fibularen Seite des Kniegelenks und verläuft mehr oder weniger parallel zum altbekannten Ligamentum collaterale laterale/fibulare (LCL). Wie dieses entspringt es am Epicondylus lateralis femoris, anders als dieses ist es aber in die Gelenkkapsel eingelassen und mit dem lateralen Meniskus verwachsen. Sein Ansatz liegt gleich unterhalb des lateralen Tibiaplateaus, etwa auf halber Strecke zwischen der Tuberositas tibiae und der Articulatio tibiofibularis.“ erklärt Herr PD Dr. Wicht.
Die Abbildung gibt Aufschluss über die genaue Lage des Ligaments:
„Nach dem Abtragen der Gelenkkapsel wurde nur das ALL stehen gelassen.
Die Abbildung zeigt deutlich: das ALL ist schräger gestellt als das LCL, so dass es bei forcierter Innenrotation des Unterschenkels unter starke Spannung gerät.“
Tatsächlich hatte der französische Chirurg Segond schon 1879 bemerkt, dass bei Verletzungen des Knies, die auf solch forcierte Innenrotation zurückgehen, oft eine kleine Fraktur der Ansatzstelle des ALL an der Tibia zu beobachten ist: „Segonds Fraktur“. Segond hatte bei weiterer Untersuchung in der Kapsel ein schimmerndes fibröses Band entdeckt: eben jenes ALL. Segonds neu beschriebenes Ligament war dann allerdings in der Zwischenzeit in Vergessenheit geraten.
Das anterolaterale Ligament (ALL) ist bei den meisten Menschen nachweisbar, es wurde allerdings bisher nicht als eigenständige anatomische Struktur beschrieben.
Damit ist es weniger eine Neuentdeckung als vielmehr eine Neubeschreibung.
Also: Augen auf im Anatomie-Kurs!
Es gibt immer noch Überraschungen.