Die kleinen sechsbeinigen Krabbeltiere - die Zoologen nennen sie „Formicidae“ - sind immer für neue Überraschungen gut.
Der Biologe Matthias Konrad und seine Kollegen haben jetzt in PLoS Biology eine spektakuläre Beobachtung publiziert: Ameisen scheinen den Kontakt Artgenossen zu suchen, die an Pilzinfektionen leiden. Die Interpretation der Zoologen: Die Ameisen suchen diesen engen Körperkontakt mit infizierten Nestgenossen absichtlich…um sich zu impfen!
(Matthias Konrad1, Meghan L. Vyleta1, et al: “Social Transfer of Pathogenic Fungus Promotes Active Immunisation in Ant Colonies” PLoS, 2012) .
Schutzimpfung für Ameisen?!
Ameisen leben in großen sozialen Gemeinschaften, sie sind Staaten bildende Insekten. Innerhalb der Staaten leben und arbeiten sie in strenger Arbeitsteilung: es gibt mindestens drei Kasten – Arbeiter, Weibchen (Königin) und Männchen.
Auch Ameisen können krank werden. Gerade in derartigen großen Gemeinschaften besteht die Gefahr durch Epidemien, die die ganze Kolonie bedrohen können. Darum haben die Insekten Abwehrmechanismen entwickelt, sowohl individuell als auch kolonieweit.
Eine solche gefährliche Ameisenkrankheit ist etwa die Infektion mit dem Pilz Metarhizium anisopliae. Der entomopathogene Pilz befällt zunächst die Chitin-Cuticula der Ameise, dann wachsen Pilzhyphen durch die Panzerung hindurch. Im Inneren der Ameise breitet sich der Pilz dann aus, die Ameise stirbt. Exitus.
Matthias Konrad und seine Kollegen haben jetzt nachgewiesen, dass gesunde Ameisen den engen Körperkontakt zu infizierten Nestgenossen suchen und sich dabei mit einer sehr kleinen Pilz-Dosis anstecken. Dabei werden, anders als bei bakteriellen Ameiseninfektionen, keine Antikörper übertragen, sondern tatsächlich nur Pilzsporen. Durch eine Fluoreszenz-Markierung der Sporen konnte deren direkte Übertragung von Ameise zu Ameise eindeutig nachgewiesen werden. Durch eine sehr niedrige Infektionsdosis bildet daraufhin die neu bepilzte Ameise eine Immunreaktion gegen den Pilz. Diese körpereigene Pilzabwehr ist so stark, dass die „absichtlich“ infizierten Ameisen nur sehr selten sterben, sondern meistens den Pilz erfolgreich bekämpfen können.
Die Ameisenforscher interpretieren diese Ergebnisse so, dass die Ameisen damit eine regelrechte Schutzimpfung auf individuellem Niveau durchführen.
Es ist noch nicht ganz sicher, ob die Pilzinfektionen von Ameise zu Ameise absichtlich erfolgen oder eher eine zufällige Folge des engen sozialen Kontakts sind. Es ist aber auffallend, dass erkrankte Ameisen besonders intensiv von gesunden Artgenossen geputzt werden.
Natürliche Impfung: Ein Argument gegen Impfverweigerung
In den letzten Jahren tritt in Deutschland zunehmend das Problem der „Impfverweigerung“ auf. Sicherlich lässt sich über den Sinn und Nutzen mancher Impfung streiten, manche sollten tatsächlich unbedingt individuell sorgfältig abgewogen werden. Andere hingegen bewahren uns heute vor schweren weit verbreiteten Erkrankungen wie Kinderlähmung, Tetanus, Pocken und Masern.
Leider treten mittlerweile pseudomedizinische Kreuzzügler auf, die hinter Impfungen generell gleich ganz große Verschwörungstheorien wittern und dabei um die allgemeine deutsche Volksgesundheit fürchten. Die „böse Schulmedizin“ wird angeprangert, mit schlimmen Chemie-Cocktails Kinder zu Krüppeln oder Autisten zu impfen. Besonders berüchtigt sind die so genannten „Masern-Parties“ geworden, bei denen Eltern ihre Kinder gezielt der Ansteckung mit Masern aussetzen. Nach heutigem medizinischem Wissen sind Masern aber keinesfalls eine harmlose Kinderkrankheit, sondern eine gefährlich Virusinfektion mit schweren möglichen Spätfolgen. Die heute mögliche und übliche Masernimpfung bewahrt viele Kinder vor schweren Erkrankungen und kann langfristig zur Ausrottung dieser Krankheit führen (Zylka-Menhorn, Vera: Masern: Vermeintlich harmlose Viruserkrankung; Dtsch Arztebl 2006; 103(23): A-1586 / B-1356 / C-1308)
Impfgegner halten Erkrankungen für “natürlich“ und damit automatisch für gut, während die Impfungen „böse“ Chemie sind. Dass die natürliche Lebenserwartung von Menschen ohne Zugang zu medizinischer Versorgung deutlich geringer war und ist, wird dabei gern übersehen.
Die Ameisen liefern Ärzten jetzt ein wunderbares Argument: Ameisen nutzen eine „natürliche Schutzimpfung“. Und was die Tiere in der freien Natur vorleben, kann doch nicht falsch sein? Immerhin haben sie damit in den letzten 100 Millionen Jahren ganz gut überlebt…
Bettina Wurche