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Ethik: Dr. Timo Sauer im „PULS.“-Gespräch – Was macht das Klinische Ethik-Komitee?

Humanmediziner werden im täglichen Leben immer wieder mit ethischen Fragen konfrontiert. Die Ärztinnen und Ärzte an einem Universitätsklinikum erleben derartige Situationen überdurchschnittlich häufig: Hier liegen besonders viele Patienten, die in anderen Krankenhäusern nicht mehr behandelt werden können. Dann kann die Frage aufkommen, ob ein Patient noch kurativ oder schon palliativ behandelt werden soll. Wenn die Ärzte unterschiedlicher Disziplinen, Pflegepersonal oder Angehörige unterschiedliche Ansichten vertreten, kann eine Konfliktsituation entstehen. Dieser existentielle Dissens im Krankenhausalltag, ist der Aufgabenbereich eines Klinischen Ethik-Komitees.

Die Ethik-Komitee-Entwicklung ist insgesamt recht jung: 1997 gab es erste Denkanstöße dazu aus der katholischen und evangelischen Kirche, dann auch von der Bundesärztekammer. 2005 hat dann das Zentrum für Gesundheitsethik (ZfG) in Hannover alle Krankenhäuser angeschrieben und nachgefragt, ob es ein KEK gäbe.
In Frankfurt gibt es seit dem 12.07.2005 ein Ethik-Komitee, das Frau Dr. Bockenheimer-Lucius maßgeblich mit vorangetrieben hatte. Seit 2011 muss in Hessen jede Klinik laut Krankenhausgesetz einen Ethikbeauftragten haben.

Herr Dr. Sauer gehört seit 2007 dem interdisziplinären Frankfurter Klinischen Ethik-Komitee (KEK) an, er teilt sich die Geschäftsführung mit Dr. Barbara Wolf-Braun und Frau Dr. Katja Weiske.
Neben der Geschäftleistung besteht das KEK aus Mitgliedern aus der Medizin, der Pflege, der Seelsorge, den Rechtswissenschaften und der Medizinethik.

Das KEK hat drei zentrale Aufgabenbereiche:
- die Weiterbildung in medizinischer Ethik
- die Entwicklung von Leitlinien / Empfehlungen und
- die einzelfallbezogene Beratung.

Die Ethik-Kommission beschäftigt sich hingegen mit der rechtlichen Beratung zur Forschung am Menschen.

An wen richtet sich die medizinethische Fort- und Weiterbildung?
Die Ethik-Fort- und Weiterbildung richtet sich an das gesamte Personal in der Klinik. Die Veranstaltungen werden unterschiedlich stark frequentiert – obwohl die Teilnehmer positive Feedbacks geben und die Fortbildungen auch für sinnvoll halten, fehlt im Klinikalltag oft die Zeit dafür.
Aber auch im Studium kommt dieses wichtige Thema schon vor: „Als Mitarbeiter des Dr. Senckenbergischen Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin biete ich Lehrveranstaltungen im Rahmen des Medizinstudiums an. In der GTE-Vorlesung – also einer klinischen Pflichtveranstaltung – und einer vorklinischen Wahlpflichtveranstaltung. Außerdem werden verschiedene für die Ethik relevante Begriffe bereits in der Terminologie-Vorlesung behandelt.“ erläutert Harr Dr. Sauer.

Wie arbeitet das Ethik-Komitee in der fallbezogenen Einzelfallberatung?
„Das Ethik-Komitee wird zu einem spezifischen aktuellen Fall angerufen und die Ethik-Beratung angefordert. Dann liegt meistens ein Dissens vor, den der verantwortliche Arzt oder die Ärztin allein nicht zu lösen vermag.

Ein solcher Dissens kann eine unmittelbare Konfliktsituation sein: Eine Meinungsverschiedenheit zwischen verschiedenen ärztlichen Disziplinen (z. B. Anästhesisten und Chirurgen) oder Pflegepersonal und Ärzten oder Angehörigen und Ärzten, da gibt es viele Möglichkeiten. Außerdem kann es auch um die notwendige Interpretation einer unklar formulierten Patientenverfügung gehen.
Wenn wir eine Anfrage bekommen, reagieren wir meist unmittelbar. Gemeinsam mit  Mitgliedern des KEK beraten wir das Behandlungsteam vor Ort. Dort wird der Fall vorgestellt und die strittigen Fragen diskutiert. Am Ende der Beratung wird meist eine Empfehlung formuliert, die nach Möglichkeit im Konsens umgesetzt wird. So eine Beratung sollte nicht länger als eine Stunde dauern.

Manchmal kommt es auch vor, dass der Dissens nicht aufgelöst werden kann. Dann schlagen wir eine vorläufige Lösung vor. Der Rat des Komitees ist natürlich immer nur eine Empfehlung. Es besteht keine Verpflichtung, die Empfehlung auch umzusetzen. Das Ergebnis der Ethik-Beratung wird dokumentiert und der Patientenakte beigefügt.“

Wann wird eine Leitlinie konzipiert?
Wenn ein spezifischer Konflikt häufig auftritt, besteht die Möglichkeit, eine Leitlinie oder Handlungsempfehlung zu entwickeln.
Ein Beispiel dafür ist der Arbeitsbogen “Leitfaden zur Begründung einer Therapiebegrenzung in der Intensivmedizin”.

Was ist der Ethik-Liaisondienst?
Eine noch recht neues Projekt ist der Ethik-Liaisondienst: Frau Dr. med. Schäfer ist stundenweise auf den Intensivstationen des Frankfurter Universitätsklinikums vor Ort anwesend, hat Sprechstunden für die dort arbeitenden Menschen und nimmt am Stationsdienst teil, etwa bei der Visite. Der Ethik-Liaisondienst zeichnet sich damit durch „regelmäßige unaufgeforderte Präsenz im klinischen Alltag auf der Station aus. Er arbeitet also ohne konkreten Antrag in Eigeninitiative und strebt dabei eine situationsangemessene Aktivität an.“
Auf der Intensivstation treten recht häufig ethische Fragestellungen oder Konfliktsituationen auf, der Liaisondienst soll helfen, diese frühzeitig zu erkennen und zu lösen bzw. dabei zu helfen, einen Konflikt gar nicht erst entstehen lassen.

„PULS.“ dankt Herr Dr. Sauer für das engagierte Interview.

Herr Dr. Sauer ist ausgebildeter Krankenpfleger und hat in Philosophie promoviert.
Er arbeitet seit 2007 im KEK und hat das Buch „Ethik in der Pflege“ (Sauer/May) geschrieben.
Das Gespräch führte „PULS.“-Redakteurin Bettina Wurche.

Bettina Wurche

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