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Das Bürgerhospital – ein modernes Krankenhaus mit Senckenbergischer Tradition

Bürgerhospital

Bürgerhospital

Der Frankfurter Arzt und Wohltäter Johann Christian Senckenberg (1707 – 1772) hat der Stadt Frankfurt ein hochkarätiges Vermächtnis hinterlassen: Medizinische, naturkundliche und naturwissenschaftliche Stiftungen, eine Portraitsammlung, Bibliotheken, Gewächshäuser und ein Theatrum anatomicum.
Und das Bürgerhospital!

Senckenberg hatte 1779 ein Hospital für die Frankfurter Bürger errichten lassen – „zur unentgeltlichen Aufnahme kranker armer Bürger und Beisassen“ (Eröffnungsrede des evangelischen Pfarrers Claus). Die Adresse: vor dem Eschheimer Tor, „Hinter der schlimmen Mauer“ (heute: Stiftstraße 30).
1907 wurde das neue Bürgerhospital in der Nibelungenallee eröffnet, das dort bis heute steht und mit Anbauten sowie aufgestockten Etagen vielfach erweitert wurde.
Ein modernes Krankenhaus.
Wie viel „Senckenberg“ ist heute noch im Bürgerhospital zu spüren?

Im Interview erzählt der Chefarzt der Augenheilkunde und Ärztliche Direktor Herr PD Dr. Oliver Schwenn über Tradition und modernen Krankenhausbetrieb im Bürgerspital.

puls.: „Herr Dr. Schwenn, ist die Verbindung des Bürgerhospitals mit Senckenberg und seine Historie heute noch den Frankfurter Bürgern bekannt?“
O. S.: „Das Haus ist fest im Bewusstsein der Frankfurter verankert – es war schließlich das erste Krankenhaus für Frankfurter Bürger!
Das Krankenhaus wird in der Bevölkerung deutlich stärker wahrgenommen als andere Senckenbergische Stiftungen, die weniger bekannt sind. Allerdings: Beim Namen „Senckenberg“ denken die meisten Menschen zunächst an das Museum, das hat bei weitem den größten Bekanntheitsgrad.
Im Bürgerspital selbst wird die Erinnerung an den Stifter hoch gehalten:
Im Gebäude begegnet man immer wieder der Historie und Zitaten Senckenbergs, das ist auch den Patienten bewusst.
Die Vorgaben der Zielsetzung, die Senckenberg in seinem Stiftungsbrief formuliert hatte, die finden Sie auch heute noch in unseren Zielsetzungen wieder.“

puls.: „Hat das damalige Gedankengut Senckenbergs, etwas Gutes für die Bevölkerung zu tun, auch heute noch Einfluss auf die Arbeit im modernen Bürgerhospital des Jahres 2013?“
O. S.: „Wir sind natürlich gehalten, wirtschaftlich zu arbeiten.
Aber der Stiftungsgedanke ist uns heute immer noch sehr wichtig, der wird gelebt.
Wir haben wenig Personalwechsel, die meisten Menschen arbeiten hier recht lange, die kennen die Geschichte des Bürgerspitals. Und neue Mitarbeiter werden etwa auf Veranstaltungen auch in diese Traditionen und Besonderheiten eingeführt.
Der Träger des Bürgerspitals ist der Verein Frankfurter Stiftungskrankenhäuser e. V., neben uns gehört auch das Clementine-Kinderhospital aus der Dr. Christ´schen Stiftung dazu. Diese Fusion besteht seit 2009.
Das Bürgerspital ist ein frei-gemeinnütziges Krankenhaus, also weder konfessionell noch kommunal. Das hatte Johann Christian Senckenberg in seiner Stiftungsurkunde so verfügt.“

puls.: „Sie sind Augenarzt. Wie ist die Augenheilkunde im Bürgerspital aufgestellt?“
O. S.: „Die Augenheilkunde ist ein kleines Fach, dafür allerdings schon stark diversifiziert.
Unser Zentrum für Augenheilkunde im Bürgerspital ist in drei Kliniken untergliedert:

Augenheilkunde:
Dabei steht der so genannte vordere Augenabschnitt im Focus: Erkrankungen der Hornhaut und der Linse sowie das Glaukom sind wesentliche Schwerpunkte.
Die häufigste Diagnose ist dabei der Graue Star.

Kinderaugenheilkunde und Lidchirurgie:
Dazu gehören die Strabologie (Schielbehandlung) und plastisch-rekonstruktive Lidchirurgie (z. B. nach Verletzungen oder Tumorerkrankungen im Lidbereich), sowie Erkrankungen der Tränenwege.

Netzhauterkrankungen:
Hier geht es um den hinteren Augenabschnitt.
Die häufigsten Diagnosen sind Diabetes-Folgeschäden, altersbedingte Macula-Degeneration oder Netzhautablösungen und andere Erkrankungen der Netzhaut.“

puls.: „Was ist der Schwerpunkt Ihrer eigenen ärztlichen Tätigkeit?“
O. S.: „Ich bin vor allem in der operativen Betreuung von Patienten mit Glaukom-Erkrankungen und grauem Star tätig.
Das Spektrum der Augenheilkunde in einem Krankenhaus unterscheidet sich ja signifikant von dem eines niedergelassenen Augenarztes.
Augenärzte sind in der Mehrheit nicht-operativ tätig, vor allem niedergelassene Ärzte operieren eher selten. Hier im Krankenhaus liegt der Schwerpunkt auf der operativen Behandlung.
Augenchirurgen müssen, wie alle Mikrochirurgen, unbedingt ein gutes räumliches Sehvermögen und Geschick haben! Unter dem Mikroskop zu operieren ist zudem eine Trainingssache. Das Auge ist das Organ des Körpers, bei dem man das OP-Ergebnis am deutlichsten sehen und die Qualität der Arbeit durch spaltlampenmikroskopische Untersuchung beurteilen kann.“

puls.: „Sie sind Chefarzt der Augenheilkunde und Ärztlicher Direktor des Bürgerhospitals. Was bedeutet das konkret für Ihre tägliche Arbeit?“
O. S.: „Mein Aufgabenbereich umfasst auch die übliche ärztliche Tätigkeit, dazu gehören viele OPs. Demnach bin ich zwar ärztlicher Direktor, nicht aber vollzeitig geschäftsführend. Das bedeutet also, dass ich nicht überwiegend administrative Tätigkeiten ausübe. Aber die leitende Position bringt natürlich auch zusätzliche Aufgabenbereiche neben der reinen ärztlichen Tätigkeit mit sich.

Als Chefarzt in einem Krankenhaus muss man heute ohnehin nicht nur medizinisch, sondern immer auch betriebswirtschaftlich denken.
Dazu kommen ganz unterschiedliche Aufgaben, z. B.:

  • Die Verantwortung für die Hygiene. Das Bürgerspital hat einen sehr hohen Standard, wir haben auch in diesem Jahr wieder ein Hygiene-Zertifikat erhalten.
  • Die Beschäftigung mit der Bauplanung. Ich muss mit Anderen darauf achten, dass z. B. die OP-Säle in Bezug auf Medizintechnik und Abläufe vernünftig eingerichtet werden.
  • Die laufende Kommunikation im Krankenhaus und die Organisation von mindestens sechs Konferenzen der Chefärzte im Jahr.
  • Die Neugründung eines Ethik-Komitees, das zuständig ist für Behandlungskonflikte, Patientenverfügungen, und ähnliches. Solche Konflikte kommen im Bürgerspital glücklicherweise nicht oft vor, die Einrichtung eines solchen Komitees ist aber doch notwendig geworden.

Außerdem bemühen wir um die Vereinbarkeit von Beruf und Familien, seit 2012 haben wir ein Zertifikat dafür.“

puls.: „Das Pflegepersonal im Bürgerspital hat eine besondere Tradition: Was hat es damit auf sich?“
O. S.: „Die Diakonieschwestern des Evangelischen Diakonievereins Berlin-Zehlendorf e.V. haben seit dem 01. Januar 1902 die Pflegedienstleitung übernommen, nach wie vor arbeiten hier viele Berliner Schwestern, zurzeit etwa 30.“

puls. bedankt sich für das ausführliche Gespräch und die Führung durch das Bürgerhospital.
Der größte Teil des Gesprächs fand in Herrn Dr. Schwenns Untersuchungs- und im Administrationszimmer statt – unter dem gütigen Blick des Tischbein-Portraits von Johann Christian Senckenberg (1771) und dem gelben Blick seines Katers (Gemälde von Johann Benjamin Ehrenreich von 1751).

Literatur:

 

 

 

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