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Carolinum: Phantomkurs Zahnerhaltungskunde

An 22 Behandlungsplätzen sitzen auf 22 Stühlen 22 Studierende: Vor jedem liegt ein Phantomkopf mit weit aufgesperrter und

Arbeiten am Phantomkopf (Bild: PD Dr. Gerhard-Szép)

Arbeiten am Phantomkopf (Bild: PD Dr. Gerhardt-Szép)

beleuchteter Mundhöhle.
Kahlköpfig, geduldig und schweigsam.
Im sogenannten „Phantomkurs der Zahnerhaltungskunde“ werden die Studierenden des 1. klinischen Semesters der Zahnmedizin am Carolinum, der Frankfurter Zahnklinik auf ihren Einsatz am echten Patienten vorbereitet.
Auf dem Lehrplan steht „Zahnerhaltung“.

Frau PD Dr. Gerhardt-Szép ist die Kursleiterin, ihr stehen zwei weitere Zahnärztinnen bzw. Zahnärzte in Vollzeit und zwei weitere in Teilzeit zur Seite (Drs. S. Dopfer, Drs. K. Gärtner, Dr. T. Gerhardt, Drs. G. Oddo).
Zusätzlich haben wir zwei Teilzeithelferinnen, die sich zeitlich abwechseln und u. a. um die Materialversorgung und das Füllungsmaterial kümmern (N. Jivanjee, M. Payne).
„Wir haben in diesem Semester 44 Studierende und im Kurs 24 Simulationsarbeitsplätze. Je nach Anzahl der Studierende pro Semester richten wir je 2 bis 3 Gruppen ein. Dieses Semester haben wir zwei Gruppen (A und B) mit jeweils 22 Studierenden. Für die Arbeit am realen Patienten im nächsten Semester gilt ein Schlüssel von 1:6. In den vorklinischen Kursen wird häufig in einer Betreuungsrelation von 1:20 gelehrt, was problematisch ist. Da unser Kurs primär an virtuellen „Phantompatienten“ durchgeführt wird, ist es naheliegend, dass er häufig irreführend nicht als „klinischer“ Kurs definiert wird.
Auch das definierte Betreuungsverhältnis von 1:6 bei der Patientenbehandlung im Zahnmedizinstudium ist nicht wirklich optimal. Für das vergleichbare Bedside-Teaching in der Humanmedizin ist  das Verhälnis1:3 üblich. Dabei ist Zahnmedizin maximal invasiv und es werden Patienten behandelt!“

Übung macht den Zahnarzt

„Der Phantomkurs ist die direkte Vorbereitung auf die Behandlung realer Patienten.“ Und wie trainiert man handwerkliche Fähigkeiten?
„Durch häufiges Üben“ erklärt Frau PD Dr. Gerhardt-Szép.
„Das ist wie beim Präparieren in der Anatomie, das muss man auch üben. Oder handwerkliche Fähigkeit im Haushalt. Unsere Studierenden kommen ja gut trainiert aus der Vorklinik. Da haben sie schon Kurse zur Präparation gehabt und Kavitäten, also „Löcher“, gebohrt und diese teilweise auch schon versorgt“

"Arbeitsgebiss"

"Arbeitsgebiss"

Alle Studierenden führen ein umfangreiches Testatheft mit 119 einzelnen Testaten. Das Testatheft besteht tatsächlich noch aus Papier. Jeder einzelne Behandlungsschritt muss testiert werden. Wenn die Studierenden etwas testiert haben möchten oder eine Frage haben, melden sie sich. Zurzeit hat eine Studentin „Inseldienst“. Frau PD Dr. Gerhardt-Szép deutet auf eine in der Mitte des Raums stehende Studentin: „Sie passt auf, wer sich in welcher Reihenfolge meldet und gibt das dann an die Aufsicht führenden Zahnärzte und Zahnärztinnen weiter. Die gehen dann zu den Studierenden und testieren oder erklären. In welcher Reihenfolge die Studierenden ihre Testate abarbeiten, dürfen sie weitestgehend selbst entscheiden. Ob sie also heute mit einer Amalgamfüllung beginnen oder mit der Fissurenversiegelung ist ihnen überlassen. Die dazugehörigen Demonstrationen fanden bereits statt. Mit einer Einschränkung: Freitags wird nur Endodontie – also Wurzelkanalbehandlungen und -füllungen – unterrichtet.

Für einen erfolgreichen Behandlungsschritt gibt es ein Testat. Jeder Studierende erhält während dieses Semesters im Mittel 119 Testate. Wenn bestimmte Arbeiten wiederholt werden müssen, können es am Ende des Semesters auch deutlich mehr werden. Bei 44 Studierenden vergeben wir Lehrende somit im Mittel 5236 Testate pro Semester, das bedeutet, dass wir ca. alle 1,43 Minuten eine Unterschrift leisten. Das ist eine sehr hohe Anzahl und wir sind eigentlich immer am „rennen“. Bei Beanstandungen gibt es ein „Rot-Testat“, also einen Misserfolg. Diese werden gesammelt. Bei sechs Rot-Testaten ist der Kurs nicht bestanden.“

Das SIM-Labor

„Seit 2002 haben wir dieses hochmoderne SIM-Lab. Vorher waren es eher normale Laborarbeitsplätze an Werkbänken: Da saßen immer drei Praktikumsteilnehmer an einem langen Tisch. Der Simulationsarbeitsplatz besteht grundsätzlich aus der Behandlungseinheit, dem Stuhl und dem Phantomkopf. Alles ist so angeordnet, wie es auch der tatsächlichen späteren Behandlungssituation entspricht.“ erklärt Frau PD Dr. Gerhardt-Szép.
„Um eine sehr gute Ausbildungssituation zu entwickeln und die spätere Patientenbehandlung zu sichern haben wir damals mit der Firma Sirona gemeinsam diese neuartige Ausstattung genau nach unseren Bedürfnissen entwickelt. So hatten wir 2002 das modernste SIM-Lab Deutschlands!
Die Entwicklung war damals sehr teuer und zeitintensiv, aber das sehr gute Ergebnis hat sich für uns gelohnt. Ich weiß, dass die Firma später identische SIM-Labs u. a. an mehrere Fakultäten ins In-  und Ausland, z. B. nach Brasilien, verkauft hat, wo man damit auch sehr zufrieden ist. Und heute sind wir mit dieser Simulationseinrichtung immer noch an der Spitze.“
An einem Computerbildschirm mit WLAN können online Daten, Publikationen und andere Informationen aufgerufen werden. Viele Studierenden klemmen hier auch die „Step-by-Step“-Arbeitsblätter fest oder rufen die entsprechende Datei auf, die Frau PD Dr. Gerhardt-Szép vor einigen Jahren selbst erstellt hat. Sie sind eine detaillierte Anleitung zur Durchführung verschiedener Behandlungen, eben Schritt für Schritt.
Das Material für die Füllungen wird von den Studierenden selbst angerührt. Die Helferinnen assistieren und überprüfen, ob alles richtig gemacht wird.

Der Phantomkopf

Der Phantomkopf hat eine große, geduldige Mundhöhle, in der viel Abwechslung herrscht. Jeder Studierende hat zwei Sets von Modellen („Arbeitsgebisse“), die er während seines Kurses einsetzt, bearbeitet und dann am Ende des Kurstages abgibt. Mitnehmen darf er diese nicht. Sie werden abgeschlossen in einem Vitrinenschrank aufbewahrt.
„Die Studierenden arbeiten zunächst an einem Gebiss mit standardisierten Zähnen aus Kunststoff. Dann bauen sie sich selbst ein Gebiss aus echten Zähnen nach“ erklärt Frau Dr. K. Gärtner. Sie deutet in den kleinen Nebenraum: „Wir haben bei etwa 150 niedergelassenen Zahnärzten seit fast 20 Jahren Zähne gesammelt, die in Thymol-Lösung eingelegt wurden. Die Flüssigkeit ist wichtig, da die Zähne sonst austrocknen und brüchig werden. Außerdem dient die Lösung der Desinfektion. Die Studierenden haben diese Zähne sortiert. Alle rechten, oberen Schneidezähne wurden in einem Behälter gesammelt, die linken unteren Eckzähne im nächsten und so weiter, daraus „bauen“ die Studierenden dann ihre „Echt-Gebisse“ zusammen. An denen üben sie dann weiter. Diese Gebisse werden feucht aufbewahrt, damit sie nicht so schnell austrocknen. Und nach dem Kurs stehen sie noch dem nächsten Semester zum Üben zur Verfügung. Da merkt man sehr schnell, dass austrocknende Zähne brüchig werden.“ Frau Dr. Gärtner hält ein Gebiss aus dem Vorjahr hoch, die Zähne haben feine Risse bekommen und jede Menge Bohrlöcher.

Der Phantomkopf ist ein sehr authentischer Simulationspatient. „Er wird so positioniert, wie die Patienten später auch im Behandlungsstuhl liegen. Damit ist der studentische Arbeitsplatz im SIM-Labor schon so eingerichtet wie der echte spätere Arbeitsplatz, er ist die perfekte Simulation.“ erläutert Frau PD Dr. Gerhardt-Szép.

Die Studierenden tragen im SIM-Kurs schon ihre spätere Arbeitskleidung:
Weiße Kleidung, Mundschutz, Handschuhe und Schutzbrille. Manche haben auf die Schutzbrille noch eine 2,5-er Lupe aufgesteckt. Die Brille soll vor umher fliegenden Partikeln beim Schleifen und – später bei echten Patienten – vor Infektionen schützen. Die Lupe mit einer Vergrößerungsleistung zwischen 2,5 und 3-fach ist optimal für die Zahnbehandlung und wird oft statt einer einfachen Schutzbrille getragen. Manche Studierende tragen aber auch ihre normalen Brillen gleichzeitig als Schutz. „Dabei muss man aber unbedingt darauf achten, dass es keines von den modischen superkleinen Gestellen ist, sondern die Gläser groß genug sind, um auch wirklich Schutz zu bieten“.
Auch im Phantomkopf wird schon mit dem Kofferdam gearbeitet: Das farbige Gummituch schirmt das kleine Areal der behandelten Fläche oder Zähne gegen die restliche Mundhöhle ab. Dadurch wird das Einspeicheln (Kontaminieren) der behandelten Stelle verhindert.“
Denn: „Im SIM-Labor wird wie am realen Patienten gearbeitet – auch mit allen Hygiene- und Sicherheitsvorkehrungen.“ sagt Frau PD Dr. Gerhardt-Szép.

Bettina Wurche

 

 

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