Lesen Sie eigentlich Science Fiction?
Kennen Sie Star Trek?
Sind Sie vielleicht sogar Star Trek-Fan und mit Captain Kirk, Spock und ihren NachfolgerInnen auf dem Raumschiff „Enterprise“ durch die unendlichen Weiten des Universums geflogen?
Star Trek ist eine extrem erfolgreiche Science-Fiction-Serie und über insgesamt 45 Jahre hinweg gelaufen, in 5 verschiedenen Serien und bis 2009 noch elf Kino-Filme, ein weiterer ist bereits in Vorbereitung.
Science Fiction-Serien wie Star Trek spielen in Zukunftsszenarien Probleme und Themen unserer eigenen Zeitgeschichte durch.
„PULS.“-Redakteurin Bettina Wurche ist bekennender SF-Fan und trifft in diesen Kreisen regelmäßig andere SF-Fans mit wissenschaftlicher Ausbildung, die sich dem Thema aus ihren Fachdisziplinen nähern: Ingenieure, Physiker, Biologen, Psychologen, Soziologen, Linguisten. Ende Mai trafen sich eine große Menge von SF-Fans auf der FedCon in Düsseldorf, der größten derartigen Veranstaltung in Europa mit über 6000 Besuchern.
Dabei war auch Dr. Mona Abdel-Hamid, Psychologische Psychotherapeutin im LVR-Klinikum Essen, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universität Duisburg-Essen in Essen.
Und Star Trek-Fan.
„Star Trek ist der zeitgeschichtliche Spiegel über 45 Jahre hinweg“, beginnt Mona Abdel-Hamids Vortrag „Von Pille bis Phlox: Der Wandel im Arzt-Patienten-Verhältnis“.
Ihrer Profession entsprechend beschäftigt sie sich mit Emotionen und psychischen Befindlichkeiten im Star Trek-Universum. Ihre Star Trek-Vorlesungen am LVR-Klinikum in Essen sind gut besucht, ihre Vorgesetzten begeistert.
„Star Trek und seine 45-jährige Geschichte stellt einen zeitgeschichtlichen Spiegel dar, der wiedergibt, was Individuen, Gesellschaften, aber auch unterschiedlichste Wissenschaftszweige, z.B. Medizin (Petrany, 2008), Biologie, Sozialwissenschaften (Scheer, 2002), Philosophie, Technologie (Kappas, 2011), Physik (Krauss, 1995), bewegt hat und weiterhin beschäftigt: z.B. Rassendiskriminierung, Kalter Krieg / Entspannungspolitik, Terrorismus, Emanzipation und weibliches Rollenbild, ökosoziale Themen, tödliche Immunerkrankungen / psychische Erkrankungen und dazugehörende Stigmatisierung in der Gesellschaft.“
In Star Trek gab es immer einen Arzt.
Die Gesundheit ist immer der höchste aller Werte geblieben, nur das diagnostische und therapeutische Spektrum ist fortwährend größer geworden. Die Arzt-Patient-Beziehung unterliegt allerdings, ebenso wie das gesellschaftliche und ökonomische Umfeld, einem kontinuierlichen Wandel (Bauer, 2007). Zwischen 1966 und heute hat sich das Arzt-Patient-Verhältnis erheblich verändert, dies spiegelt sich auch in den Charakteren der Schiffs- und Stationsärzte des Star Trek-Universums wider (Petrany, 2008).
„Star Trek: The Original Series“ (Raumschiff Enterprise) 1966 – 1969
1966 betrat mit „Pille“ Dr. McCoy ein bärbeißiger, schrulliger Arzt die Krankenstation. Obwohl er auf der ersten Enterprise bereits einen High-Tech-Park zur Verfügung stehen hat, ist er der ultimative Hausarzt, immer in Augenhöhe mit dem Patienten. „Pille“ über „Pille“: „Ich bin nur ein einfacher Landarzt“ („country doctor“). Dass er trotz seiner Schrulligkeit von seinen Schiffskameraden geschätzt wird, kommt bereits ins einem Spitznamen zum Ausdruck: „Bones“ im US-amerikanischen Original, „Pille“ in der deutschen Übersetzung.
Er kämpft um das Leben jedes Patienten – Mensch, Klingone oder Vulkanier. Extraterrestrische Patienten sind durch die fremdartige Anatomie eine echte Herausforderung für den Schiffsarzt. Mehr als einmal versagt seine ärztliche Kunst: In dem Kinofilm „Das unentdeckte Land“ stirbt der klingonische Kanzler Gorkon unter seinen Händen, der Tod löst einen politischen Eklat aus. Und „Pille“ ist untröstlich.
„Star Trek: The Next Generation“ (1987-1994)
1987 übernimmt mit Dr. Beverly Crusher eine intelligente und attraktive Frau die Krankenstation der neuen „Enterprise“. Als allein erziehende, liebende Mutter und verantwortungsbewusste Ärztin ist sie eine unabhängige Frau. Sie verkörpert den neuen Trend: Ärzte gelten als unfehlbar, alles kann irgendwie geheilt werden. Was sie nicht im Kopf hat, steht in der Schiffsdatenbank.
Einer der medizinischen Höhepunkte ist, dass sie die verletzte Wirbelsäule inklusive Nervensystem des Klingonen Worf repliziert und austauscht. Der Klingone, der aufgrund seiner Querschnittslähmung bereits seinen rituellen Selbstmord geplant hatte, wird natürlich wieder vollständig gesund.
„Star Trek: Deep Space Nine“ DS 9 (1992-1999)
1992 verlagerte sich das Star Trek-Geschehen vom Raumschiff auf die Raumstation „Deep Space 9“. Wie der Name schon sagt: im tiefen Weltall und weit weg von der Erde. Ein Schmelztiegel von terrestrischen und extraterrestrischen Rassen, die kein Mensch zuvor gesehen hat.
Der jugendliche Stationsarzt Dr. Julian Bashier ist leidenschaftlich, begeistert und brillant. Seine extreme Motiviertheit und gleichzeitige Naivität lassen ihn zunächst fast wie einen Studenten wirken. Manche Personen in seinem Umfeld reagieren amüsiert oder genervt auf ihn. Im Laufe der Serie durchläuft der Charakter dann eine Veränderung: er wirkt müder, aber immer noch extrem engagiert. Erst in der 5. Staffel stellt sich heraus: er ist ein genetisch verbessert und sein Gehirn regelrecht getunt. Der Arzt wird zum Produkt der von ihm angewendeten Technik und entmenschlicht.
Der geniale Arzt wirkt nicht mehr menschlich, sondern vielmehr selbst wie ein Werkzeug. Davon erholt er sich bis zum Serienende nicht mehr.
„Star Trek: Voyager“ (1994-2001)
Ab 1994 flog die „USS Voyager“: Zum ersten Mal mit einem weiblichen Captain und mit einem Holo-Doctor als Schiffsarzt: Das Medizinisch-Holographische Notfallprogramm – „The Doctor“.
„Pille“ hatte noch einen Spitznamen – „The Doctor“ hat nicht mal mehr einen Namen.
Diese Suche nach einem Namen und einer menschlicheren Identität wird in der Serie mehrfach thematisiert, aber letztendlich gibt es dabei keinen Fortschritt. Dieser Arzt hat zwar einige überzeichnete Charaktereigenschaften. Sein wichtigster Charakterzug ist das schnelle „Beleidigtsein“ – vor allem wenn man ihn ohne Begründung ausschaltet. Im Allgemeinen agiert er aber ausschließlich logisch. Er ist ein ausschließlicher Techniker, der seine Techniken perfekt beherrscht, aber keine glaubwürdigen Emotionen mehr aufweist oder bei seinen Patienten wahrnimmt.
Die Profession des Arztes erreicht ihren Zenit. Gleichzeitig kommt aber die Frage auf: Ist Technik allein wirklich der Schlüssel zur Heilung?
„Star Trek: Enterprise“ (2001-2005)
Die ab 2001 gesendete „Enterprise“-Serie spielt zeitlich vor der Original-Serie, als die Menschen sich gerade erstmals ins Weltall wagten.
Der Schiffsarzt ist kein Mensch, sondern der Denobulaner Dr. Phlox. Immer verfügbar und immer optimistisch lächelnd. Er beherrscht seine Technik und erfindet gleichzeitig innovative Therapien. Auf der Krankenstation züchtet er verschiedene Tiere und Pflanzen aus allen Teilen der Galaxis, aus denen er manchmal Heilmittel herstellt. Erstmals wird in der Star Trek-Medizin neben der Technik auch wieder die biologische Perspektive des Heilens aufgegriffen.
Sein Umgang mit der Besatzung ist immer liebenswürdig und hilfsbereit -
„Braucht es ein Alien, um wieder mehr Menschlichkeit in die medizinische Behandlung zu bringen?“
Dr. Abdel Hamids Fazit
„Star Trek spiegelt unseren eigenen Wandel in der Sicht auf Ärzte wieder:
Ärzte entfernen sich von den Menschen, versagen beinah nie und spiegeln unrealistische Erwartungen der Patienten wieder. Es kommt zum Verlust des intimen Arzt-Patienten-Verhältnisses.
Das Arzt-Patienten-Verhältnis wandelt sich zum Arzt-Kunden-Verhältnis. Der Trend führt zu weniger Vertrauen und mehr forderndem Verhalten.“ (vgl. Bauer, 2007).
Vielleicht bräuchte es wirklich mal ein Alien als Arzt?
Einen so netten Denobulaner wie Dr. Phlox hätten sicherlich viele Menschen gern als Hausarzt. Auch wenn er so komische Beulen im Gesicht trägt.
Quellen:
Abdel-Hamid, M. (2012): „Von Pille bis Phlox: Der Wandel im Arzt-Patienten-Verhältnis“, Vortrag auf der FedCon
Bauer, H. (2007) „Die Autonomie des Arztes“
Bennet, M. & Bennet, D.(2001). Star Trek: The Human Frontier. Routledge. New York
Kappas, A. (2011). To Our Emotions, with Love: How Affective should Affective Computing be? LNCS, Vol. 6974
Kraus, L.M. (1995). The Physics of Star Trek. Harper Perennial.
Scheer, U. (2002). Neue Geschlechterwelten? Eine Analyse der Star Trek-Serien Deep Space Nine und Voyager. Medien- und Geschlechterforschung; Bd 9
Petrany, S.M. (2008). Star Trek and the future of family medicine. Family Medicine; Vol 40
Trampisch, H.J., Windeler, J., Ehle, B. (1997). Medizinische Statistik. Springer, Berlin
www.startrek.de
www.startrek-index.de
Bettina Wurche
Zum Weiterlesen:
„Darstellung und Stigmatisierung psychischer Leiden von den 1960ern bis zur Gegenwart. Eine Analyse am Beispiel von Star Trek (Raumschiff Enterprise)“
M. Abdel-Hamid, M. Grabemann, M. Kownatka, O. Fiege, T. Hagenacker, M. Zimmermann, Ch. Mette, J. Wiltfang, B. Kis; LVR-Klinikum Essen, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universität Duisburg-Essen, Essen
Korrespondenz: Mona.Abdel-Hamid@lvr.de