Der beschriftete Schädel, mit einer schwarz-rot-goldenen Kokarde unter dem Kinn und unter einem eleganten gläsernen Glassturz thronend, ist ein ungewöhnlicher Bewohner der Anatomischen Sammlung.
Dieser Schädel ist eines der wenigen Präparate, die einer Person zugeordnet sind: er stammt von Philipp Heinrich Zwick.
Bereits die Kokarde in den Revolutionsfarben deutet auf einen politischen, historischen Zusammenhang hin…
Die Beschriftung des Schädels gibt weitere Auskunft über Zwicks dramatisches Ende: Kampf, Liebe, Folter, Standhaftigkeit und Tod (vollständiger Text s. u.).
Wer war Philipp Heinrich Zwick?
Der Zwick´sche Schädel kann in seiner Bedeutung nur im historischen Kontext verstanden werden.Zu seinem Todeszeitpunkt waren Studenten und Burschenschaften hochgradig politisch aktiv, sie planten nichts Geringeres als die Revolution!
bw
Frankfurt, 1833: Revolution!
Im deutschen Bund herrschen Kleinstaaterei und Reaktion. Frankfurt ist seit der Neuordnung Europas beim legendären Wiener Kongreß 1816 der Tagungsort der Bundesversammlung.
Die Bundesversammlung tagt unter österreichischem Vorsitz des Fürst Metternich im Palais der Fürsten Thurn und Taxis. Sie ist nicht frei gewählt, sondern besteht aus Repräsentanten der Stände, unter denen der Adel das Übergewicht hat: Sie ist das gehasste Symbol der Reaktion.Die Republikaner planen die symbolische Ausrufung eines Gegenparlaments und einer Gegenregierung. Sie hoffen auf die Solidarisierung der Frankfurter Bürgerschaft und die Fanalwirkung des Aufruhrs. Unglücklicherweise werden ihre Pläne frühzeitig von einem Würzburger Professor an die Frankfurter Behörden verraten.
Die Träger des republikanischen Gedankens sind Intellektuelle und Studenten. Die Studenten organisieren sich in Burschenschaften, die den Nationalgedanken propagieren: damals war die republikanisch-nationale Idee revolutionär.
Philipp Heinrich Zwick ist weder Intellektueller noch Student (Frankfurt hat zu diesem Zeitpunkt noch keine Universität). Er ist zunächst Sergeant im Frankfurter Stadtmilitär, verlässt dann das Militär und wird Sekretär bei Dr. Bunsen, einem Frankfurter Advokaten, der zu den intellektuellen Vorbereitern des Umsturzversuches von 1833 gehört.
Zwick ist zu diesem Zeitpunkt 28 Jahre alt.
In den Tagen vor dem 3. April 1833 sickern mehrere Dutzend bewaffneter Burschenschaftler aus Heidelberg in Frankfurt ein, die am gleichen Tag die Hauptwache angreifen, besetzen, und die dort internierten (politischen) Gefangenen befreien. Von Eschborn aus greifen, ebenfalls am 3. April, Gruppen von aufständischen Bauern die Wache in Preungesheim an und halten diese kurzfristig besetzt. In Frankfurt hat sich eine Gruppe aus etwa 20 Personen aus städtischen Intellektuellen und Proletariern gebildet, die zeitgleich die Konstablerwache einnehmen. Zu ihnen gehört Zwick; vielleicht aus Überzeugung, vielleicht aus Loyalität zu seinem Arbeitgeber, Dr. Bunsen.
Die Revolutionäre tragen die dreifarbigen Schärpen und Binden in schwarz-rot-gold als Erkennungszeichen und sind mit geladenen Gewehren mit Bajonetten, Pistolen, Säbeln und Dolchen bewaffnet. Einige von Ihnen hatten sich mit faschen Bärten maskiert und die Gesichter geschwärzt.
Zwick trägt einen Karabiner mit Bajonett, um den linken Arm hat er eine Trikolore in den republikanischen Farben schwarz-rot-gold gebunden.
Der Sturm auf die Hauptwache
Zwickens Rolle bei der Erstürmung der Konstablerwache ist fragwürdig.
Es gibt Gerüchte, denen zufolge er bei der Einnahme der Wache dermaßen furios zu Werke gegangen sein soll, dass er irrtümlich einen der eigenen Leute, den Weißbindergesellen Johann Georg Henckelmann, mit dem Bajonett erstach.
Trotz flammender Reden auf der Zeil solidarisieren sich die Frankfurter Bürger nicht mit den revolutionären Republikanern. Schon in den frühen Abendstunden rückt Militär in die Stadt ein und vertreibt die Revolutionäre aus den Wachen. Zwick flieht nicht, wie die meisten anderen Besetzer, aus der Konstablerwache, sondern stellt sich zum Kampf. Er greift den Hauptmann Jungmichel des anrückenden Militärs mit dem Bajonett an, der den Angriff zunächst abwehrt. Als Zwick auf ihn anlegt und ihn erschießen will, wird er seinerseits von dem Schützen Georg Weitz aus der Kompanie des Hauptmannes angeschossen. Weitz hat fünfzig Jahre später, in einem Leserbrief an eine Frankfurter Zeitung, die Szene und Zwickens Ausrüstung geschildert.
Insgesamt kommen bei dem Frankfurter Wachensturm 8 Personen ums Leben: 5 Soldaten, die Aufständischen Zwick und Henckelmann (s.o.) und ein Passant, der Schuhmachergeselle Johann Metzger.
Zwick wird schwer verletzt ins Militärhospital auf dem Klapperfeld gebracht. Er wird vor seinem Tode verhört, um die Namen der Mitverschwörer zu erfahren. Man verweigert ihm Wasser, um ihn zum Reden zu bringen.
Zwick bleibt standhaft, schweigt und stirbt am 5. April.
Der Weg seines Schädels in unsere Sammlung lässt sich nicht genau rekonstruieren: sein Leichnam mag von den Behörden der schon damals existierenden Dr. Senckenbergischen Anatomie zur Verfügung gestellt worden sein.
Der Urheber der Beschriftung auf dem Schädel ist unbekannt.
(PD Dr. Helmut Wicht rekonstruierte diese Historie des Zwick´schen Schädels aus Fragmenten des Stadtarchivs Frankfurt, Ordner A20, “Frankfurter Wachensturm von 1833″, hauptsächlich aus Zeitungsausschnitten des 19. Jhdts. Sein Text wurde für „PULS.“ leicht überarbeitet.
Weitere Informationen stammen aus dem Manuskript “Vorbereitung des Aufruhrs in Frankfurt a/m” des Digitalen Archivs Marbug.)
Aufschrift auf dem Schädel:
„Zwick war Anführer der Studenten, die am
3. April 1833 die Wachen in Frankfurt/M stürmten.
Von Hause aus Soldat exerzierte er die Studenten
In ihrem Vorhaben an den Tagen vor dem 1. April ein.
In Vorahnung seines Todes nahm er Abschied von seiner
Geliebten und starb in der festen Überzeugung einer
guten Tat. In den letzten Stunden seines Lebens konnte
er durch nichts dahin gebracht werden, die Anderen
zu verraten.“
Anonymus