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Interview Giulia Enders: „Darm mit Charme“

Giulia Enders studiert Medizin im 2. klinischen Semester.
Sie hat in diesem Jahr mit einer furiosen Performance mehrere Science-Slam-Wettbewerbe gewonnen.
Im “PULS.“-Interview gibt sie Einblicke in ihre Begeisterung für den Darm:
„Ich finde den Darm aber sehr cool: Er ist ein selbständiges Organ mit eigenem „Kopf“.“ (Zitat Giulia Enders).

Interview:
PULS.:Frau Enders, Sie sind die diesjährige Gewinnerin mehrerer Science-Slam-Wettbewerbe und haben dort mit Ihrem unterhaltsamen und inhaltsreichen Beitrag zur medizinischen Forschung brilliert. Wie sind Sie zum Medizinstudium gekommen?
G. E.: „Das war eine recht kurzfristige Entscheidung. Wenn man jung ist denkt man ja erst mal, man sei unzerstörbar, Krankheit und Tod sind da nicht so die Hauptthemen. Ich habe allerdings mit 17 Neurodermitis bekommen und musste mich um sehr viele Informationen zur Krankheit und ihren Behandlungsmöglichkeiten selbst kümmern. Dabei habe ich dann gemerkt, dass mich das ganze Gebiet der Medizin wahnsinnig interessiert, ich wollte immer mehr wissen. Und ich konnte die Texte auch dann noch lesen, wenn ich gerade total müde war oder mich nicht gut fühlte. So kam ich auf die Medizin.
Und dann wollte ich auch auf jeden Fall etwas studieren, was nicht von Menschen erfunden worden ist, sondern mich mit natürlichen Systemen beschäftigen. Aus diesen natürlichen Systemen kann man viele grundsätzliche Mechanismen ableiten: Der Darm ist dafür ein schönes Beispiel: Der Darm zerlegt die aufgenommenen Substanzen in immer kleinere Teile und verarbeitet sie immer weiter. Diese grundsätzliche Methode, etwas zu zerlegen und dann weiterzuverarbeiten, fasziniert mich und lässt sich auf ganz viele andere Systeme anwenden.“

PULS.:Und warum haben Sie sich für das Studium in Frankfurt entschieden?
G. E.: „Ich komme aus Mannheim und dachte, dass es gut wäre, ein bisschen von zu Hause wegzugehen. Ich bin ein totaler Nesthocker und muss meistens zum Urlaub gezwungen werden – dass Tapetenwechsel aber dann doch meistens eine gute Sache ist, weiß ich spätestens nach meinem Jahr in den USA. Ich fahre trotzdem fast jedes Wochenende nach Hause, um meine Familie zu sehen. Frankfurt ist schön weit und gleichzeitig wunderbar nah.“

PULS.:Sie erzählen gerade von einem Auslandsaufenthalt: Haben Sie ein Auslandssemester gemacht?
G. E.: „Nein, ich war schon während der Schulzeit in den USA. Ich habe bei einer total lieben und riesigen Familie in der Nähe von Chicago gewohnt, die mich sehr herzlich aufgenommen hat.
Dort habe ich ganz anders gelebt und gelernt als hier. In der Highschool waren der Unterricht und die Fächer völlig neu und unterschiedlich: Die Naturwissenschaften waren sehr anwendungsorientiert und viel schöner erklärt. Ich konnte auch einen Kurs zum creative writing belegen. Das hat mir Spaß gemacht!“

PULS.:Was hat Ihnen im Medizin-Studium in Frankfurt bisher besonders gut gefallen?
G. E.: „In der Vorklinik ist vieles zwar straff – aber dafür sehr gut durchorganisiert. Ich hatte das Glück, immer gute Dozenten zu haben. Besonders gut gefallen hat mir der Präp-Kurs – der war so praktisch – und das Biochemie-Seminar im vierten Semester – das war so völlig abstrakt, aber super. Im Präpkurs habe ich damals das erste Mal einen Darm in meinen Händen gehabt. Das war wirklich beeindruckend.“
(Mehr Fakten über den Darm erzählt Giulia Enders in ihrem Science Slam-Beitrag „Darm mit Charme“).

PULS.:Wie sind Sie auf die Idee gekommen, am Science-Slam-Wettbewerb teilzunehmen und wie haben Sie das neben Ihrem Studium noch geschafft?
G. E.: „Ich gehe gern zu Poetry-Slams und bin ich dann irgendwann auch auf Science-Slams gestoßen. Ich schreibe selbst eigentlich sehr gerne. Durch die vielen Anforderungen in der Vorklinik habe ich dann aber leider immer weniger  geschrieben. Also war mein Vorsatz fürs neue Jahr, neben der Uni wieder mehr zu schreiben. So habe ich dann den Science-Slam-Beitrag geplant.
Das hat gar nicht sooo lange gedauert. Ich hatte die Infos dafür ja in den zwei Jahren Vorklinik in meinem Kopf angehäuft und innerhalb eines Monats daraus den Beitrag zusammengeschrieben.
Nun war das ja auch Teamwork: Ich habe ich mich um den Text gekümmert, die Bilder kamen von meiner Schwester.“

PULS.:Die Kooperation von Ihnen als Medizinstudentin und Ihrer Schwester als Kommunikationsdesignerin ist ein außergewöhnlicher interdisziplinären Ansatz. Beide Teile passten phantastisch zusammen. Arbeiten Sie häufiger an gemeinsamen Projekten?
G. E.: „Wir sind ziemlich unterschiedlich: Ich bin so eher die verbale und meine Schwester ist die visuell Denkende. Dadurch ergänzen wir uns sehr gut und wir arbeiten perfekt zusammen. Wir sind so ein Ideen-Ping-Pong-Team und hören erst auf, wenn wir Hunger kriegen. Der Science-Slam war unser erstes größeres Projekt.“

PULS.:Meinen Sie, dass man durch Einsatz von Kommunikationsdesign Vorlesungsunterlagen/-folien didaktisch besser gestalten könnte?
G. E.: „Na klar! Meine Schwester ist immer meine allererste Anlaufstelle, wenn ich Folien oder Vorträge für irgendetwas zusammenstellen will. Mediziner haben oft nicht nur eine hässliche Schrift, sondern auch eine völlig blutleere Ästhetik, was Wissensvermittlung betrifft. Meine erste 5-6 in der Schule war in Schönschrift. Ich glaube, ich hatte damals zu einem Text über Fahrradfahrregeln überall Fische auf die Seite gemalt. Ich dachte, dass das super passt, weil Fische keine Fahrradfahrregeln brauchen und deshalb kreuz und quer über die Seite geschwommen sind. Diese illustrative Legasthenie, wie ich das jetzt einfach mal nenne, ist auch nicht weiter schlimm, denn dafür gibt es ja andere Experten. Bei meinem Slam-Vortrag habe ich auf jeden Fall die Erfahrung gemacht, dass die besonders einzigartig illustrierten Folien von Leuten auf Partys fast lückenlos zitiert wurden. Das freut mich – und würde jeden Professor auch freuen, denke ich mal.“

PULS.:Sie erzählen in Ihrem Slam-BeitragDarm mit Charme, dass der Darm Sie einfach fasziniert. Wie kommen Sie ausgerechnet auf den Darm?
G. E.: „Der Darm lässt mich schon seit den ersten Studienjahren nicht mehr los. In allen Fächern, ob Anatomie oder Physiologie, bin ich immer wieder auf den Darm und seine Eigenschaften gestoßen und fand alle Daten immer hammer. Der Darm ist ja vielmehr als einfach nur ein Rohr, durch das die Nahrung geschoben wird. Er hat auch direkten Einfluss auf Psyche und Immunsystem. Die Querverbindungen zwischen Darmbakterien und Depressionen oder Angst sind noch ganz frische Themen, die Forschung ist spärlich, aber hochinteressant.
Leider finde ich dazu kaum Gesprächspartner…
Auch die meisten Nicht-Mediziner beschäftigen sich nicht mit ihrem Darm, kranke Menschen gehen eher zu anderen Spezialisten. Das scheint cooler zu sein. Beim Roemheld-Syndrom vergehen teilweise Jahrzehnte bis die Patienten ODER auch deren Ärzte mal auf die Idee kommen, dass die Beschwerden ja vom Darm kommen könnten – und so selten ist dieses Krankheitsbild gar nicht.
Ich finde den Darm aber sehr cool: Er ist ein selbständiges Organ mit eigenem „Kopf“.
Der Darm ist ein riesiges Netz von einzelnen Aspekten, die in ganz unterschiedlichen Fachgebieten bearbeitet werden. Das macht das Thema so verflixt schwierig. Ich taste mich jetzt an dieses Netz heran, und betrachte es aus verschiedenen Perspektiven. Ich war ein halbes Jahr bei den Neurowissenschaften und jetzt bin ich in der Mikrobiologie, was sehr spannend ist! Ich persönlich denke, beim Einsatz von Antibiotika sollte viel stärker darauf geachtet werden, dass danach die Darmflora wieder aufgebaut wird. Das kann man ja mit ganz einfachen Hausmitteln machen, etwa gutem Joghurt oder verschiedenen Präparaten, die zum Beispiel Lactobacillus enthalten. Beim Joghurt sollte man nur darauf gucken, dass er möglichst wenige Zusätze wie Zucker enthält. Manche „probiotischen“ Produkte sind wirklich schlecht – einfacher guter Joghurt kann da um Meilen besser sein. Und neulich habe ich auch gelesen, dass Pistazien der Darmflora gut tun. Warum nicht? Ich mag Pistazien ja sowieso.
Ich würde mich wirklich  freuen, wenn sich mehr Menschen für die Darm-Kopf-Achse und ihre Fragestellungen interessieren würden!“

„PULS.“ bedankt sich bei Frau Enders für das begeisterte Interview.
Das Interview führte „PULS.“-Redakteurin Bettina Wurche.

Bettina Wurche

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